Herzinfarkt–Deluxe–Brötchen gegen die Hungersnot

Belfast, Nordirland

Am Sonntag nach dem Pferderennen hatten wir noch genügend Zeit, um uns etwas durch Galway treiben zu lassen, bevor wir in unseren Zug am späten Nachmittag zurück nach Dublin einsteigen mussten. So waren wir abends wieder zurück auf der Krassy, und bereit für weitere Abenteuer. 

Für Montag, den irischen Bank Holiday Feiertag, war allerdings erstmal ein kompetentes Sturmtief vorhergesagt, das vor allem über den Norden Irlands und Schottland ziehen sollte, das aber auch für uns in Dun Laoghaire ordentlich Wind im Gepäck hatte. So lief am Montag abgesehen von Böen mit 40kn im Hafen bei uns nicht allzu viel. 

Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, in zwei oder drei gemütlichen Tagesetappen weiter nach Belfast zu fahren. Allerdings zieht hier momentan viel Wetter durch. Es tat sich aber die Möglichkeit auf, ab Dienstag nachmittag direkt nach Belfast durch zu segeln. Wieder eine Nachtfahrt also. Während es morgens noch gekachelt hat wie nichts Gutes, ließ der Wind zum Nachmittag allmählich nach, bis es in der Nacht ganz gemütliches Segeln wurde, und dank der Landabdeckung ohne nennenswerten Seegang.

Das war insgesamt schon eine der entspannteren Nachtfahrten, obwohl so dicht unter Land natürlich viel Schiffsverkehr, vor allem Fischer, zu beachten waren. Wir haben versucht, unsere Fahrt so zu timen, dass wir bei „Slack Tide“ bzw. Stillwasser den Donaghadee Sound passieren würden, eine Engstelle zwischen dem Festland und einer vorgelagerten Insel direkt südlich von der Einfahrt nach Belfast gelegen, in der ein ordentlicher Gezeitenstrom von bis zu 5kn auftreten kann. Das hat auch gut geklappt, das Wasser vor Ort war ruhig und wir hatten kaum Strömung.

Wir sind nun also in das vereinigte Königreich eingereist. Nach dem Brexit sind hier nun einige Besonderheiten zu beachten. Zum einen müssen wir beide einen Prozess durchgehen, in dem wir uns als einreiseberechtigt ausweisen, zum anderen müssen wir unsere Ankunft mit dem Boot den Behörden melden. 

Ersteres ist eine Electronic Travel Authorisation (ETA), die zwei Jahre gültig ist und uns zur Einreise in das vereinigte Königreich berechtigt. Das Ganze Verfahren ist ziemlich neu und läuft recht komfortabel über eine App ab, in der ein Scan des Ausweises bzw. Reisepasses und ein Selfie übermittelt werden. Nach einer Überprüfung, die nur ein paar Minuten dauert, kommt dann die Info per mail, dass man zur Einreise berechtigt ist und nun nichts weiter unternehmen muss. 

Für die Einreise mit dem Boot nutzen wir einen recht neuen Online-Service, den wir allerdings auch schon letztes Jahr genutzt hatten: Submit a Pleasure Craft Report (sPCR). Hier werden die Daten des Bootes und der Crew hinterlegt und anschließend Informationen zu der Fahrt eingepflegt, mit der wir nach UK einreisen oder aus UK ausreisen (Starthafen, Zielhafen, ETD, ETA). Was in diesem Prozess jetzt neu ist, ist die Überprüfung, ob alle Personen an Bord einreiseberechtigt sind. Das ist die Verbindung zum ETA. Abschließend werden die üblichen Zoll-Fragen (Bargeld, Tiere, Alkohol usw.) gestellt, und der Bericht eingereicht. Daraufhin kommt eine mail, in der der Empfang bestätigt wird und darauf hingewiesen wird, dass die Ankunft erst dann erfolgt ist, wenn sie durch Border Force bestätigt wurde, und dass wir auch erst dann die Q-Flagge runternehmen dürften. 

Und es kam: Nüscht. Na toll. Dürfen wir jetzt das Boot verlassen oder müssen wir auf Antwort der Behörden warten? Und wie lang würden wir warten müssen? Naja, wir kamen kurz vor Mittag an, und hatten das Frühstück ausfallen lassen. Also erstmal in Ruhe frühstücken und abwarten, ob noch was kommt. Und es kam nichts. Ein Anruf klärte die Sache dann auf: Also wenn ihr nichts von uns hört, dann ist alles gut. Ihr könnt das Boot verlassen und die Q-Flagge runternehmen. Na super, dann schreibt das doch auch so in eurer Mail. Also sind wir nun drin, im vereinigten Königreich.

Die Marina in Belfast liegt sehr zentral und tief im Hafen drin. Der Victoria Channel, der Schifffahrtsweg, der in den Hafen führt, wird von einer Verkehrszentrale überwacht, bei der man sich auch anmelden muss. Sobald wir das gemacht hatten, bekamen wir einen Verkehrsbericht über Schiffsbewegungen im Hafen und im Channel, und zum Beispiel auch die Anweisung, die Position zu halten, während eine Fähre vor uns drehen würde. Das wirkt hier alles sehr organisiert und respektvoll, auch kleine Sportfahrzeuge werden als vollwertige Verkehrsteilnehmer betrachtet. Wenn man das mit der Elbe vergleicht, ist das schon etwas anderes. Dort ist man eher Störfaktor und hört von der Verkehrszentrale höchstens dann etwas, wenn man nicht weit genug rechts am Fahrwasserrand fährt, und das dann auch in einem entsprechenden Tonfall und am Besten noch in Verbindung mit Bußgeld-Drohungen.

Nun liegen wir mitten in der nächsten Großstadt, die auf Erkundung wartet. Die Marina liegt auf der Ostseite des River Lagan inmitten eines ehemaligen Hafen- und Werftgebietes, in dem sich heue Museen, Konzerthallen, Kinos usw. aneinanderreihen und in dem ein großer Entwicklungsprozess à la Hafencity vonstatten geht. Von hier aus ist es ein zehnminütiger Spaziergang am Fluss entlang in die Innenstadt, die auf der gegenüberliegenden Flussseite liegt. Die Innenstadt ist auch wirklich ganz hübsch, es gibt die üblichen Einkaufsstraßen, aber auch viele nette Cafés und Pubs, und den St. George‘s Market, eine große Markthalle, in der von Kunsthandwerk über Plunder und Antiquitäten bis hin zu Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse alles mögliche angeboten wird. 

Wir gönnten uns ein Breakfast Bap, eine echte Spezialität in Belfast. Das Belfast Bap ist ein spezielles Brötchen, mit dem sich die hungernde Bevölkerung der Stadt wohl während der großen irischen Hungersnot „Great Famine“ in den Jahren 1845 bis 1849 versucht hat, über Wasser zu halten. Die große Hungersnot war Folge eines Ausbruchs der Kartoffelfäule, die fast die gesamte Kartoffelernte in mehreren Jahren in Folge vernichtete – das Grundnahrungsmittel vor allem der armen Landbevölkerung im Süden und Westen des Landes. Die großen Monokuklturen waren besonders anfällig, und andere Feldfrüchte oder Tiererzeugnisse wurden größtenteils weiterhin exportiert oder mussten an die vorwiegend britischen Großgrundbesitzer abgegeben werden. So musste das bisschen Weizen, das noch vorhanden war, in Form von Gebäck für die Ernährung der Menschen herhalten. Dennoch verhungerten in den paar Jahren rund eine Million Menschen, und mehr als eine weitere Million Menschen wanderte aus – die Folge war ein nachhaltiger Bevölkerungsrückgang, der bis heute nachhallt. 

Aber zurück zum Breakfast Bap. Im Prinzip ist das ein komplettes englisches Frühstück  in einem Brötchen. Das Bap gibt es in allen möglichen Varianten, ganz klassisch ist es wohl mit Würstchen, Bacon und Ei, aber man bekommt ihn auch mit Pulled Pork oder gar als vegetarische Variante. Wir entschieden uns für die klassische Variante „Herzinfarkt deluxe“, die tatsächlich mit drei Würstchen, zwei dicken Scheiben Bacon und einem Spiegelei belegt wurde, dazu leckere britische Brown Sauce. Das ist mal ein Frühstück mit Sättigungswert, ein echtes Wertftarbeiter-Frühstück.

Wir schauen, wenn wir in größeren Städten sind, immer mal nach, was dort so kulturell gerade läuft. Vielleicht gibt es ja interessante Konzerte, Theaterstücke oder Events, die wir uns anschauen könnten. Und wir wurden fündig. Momentan läuft im Grand Opera House eine Woche lang das Musical „Fiddler on the Roof“, das durchweg top-Bewertungen erhalten hatte und für das sogar noch ein paar Karten verfügbar waren. Wir schlugen also zu und suchten uns unter den paar freien Plätzen ganz vorne oder ganz hinten diejenigen aus, die ganz vorne lagen – im Theatergraben. Es gab den Hinweis, das man möglicherweise wegen der Höhe der Bühne die Fußarbeit nicht sehen könnte, aber wir ließen es darauf ankommen und freuten uns über die recht niedrigen Ticketpreise. 

So warfen wir uns also wieder in Schale und gingen Donnerstag Abend schön in die Oper. Und wir hatten Glück! So hoch war die Bühne dann nicht, so dass wir einen spektakulär guten Blick auf die Bühne hatten, und fast schon mittendrin im Geschehen steckten. Und das Musical war mal echt eine tolle Abwechslung. Die Geschichte spielt in einem jüdischen Dorf im zaristischen Russland im Jahr 1905 und dreht sich um Tevye, einen einfachen Milchmann, der versucht, im Einklang mit den Traditionen seine fünf Töchter heiratstechnisch unter den Hut zu bekommen. Die haben aber eigene Pläne und sind gar nicht begeistert von arrangierten Hochzeiten unter dem Gesichtspunkt, wessen Sohn denn die beste Partie darstellen würde. So wird der arme Tevye im Spannungsfeld zwischen dem Glück seiner Töchter und den heiligen Traditionen immer mehr auf die Probe gestellt. Überschattet wird die ganze Handlung mit der politischen Situation und einem beginnenden Antisemitismus in Russland. Musikalisch war das Musical dennoch eine fröhliche Mischung aus jüdischen und slawischen Klängen, vorgetragen von einem Ensemble, das sichtlich Spaß bei der Arbeit hatte.

Das Grand Opera House, eröffnet im Jahr 1895 ist wohl das einzige viktorianische Theater in Nordirland. Es erlebte eine bewegte Vergangenheit, wurde zwischenzeitlich zehn Jahre lang als Kino benutzt, durch IRA-Bombenanschläge zwei Mal beschädigt und bereits zwei Mal im großen Stil restauriert, einmal in den Siebzigern und zuletzt 2020, wodurch das Theater seinen alten viktorianischen Glanz zurückbekommen hat. In all den Jahren sind hier einige ganz große Namen des Entertainment aufgetreten, z.B. ein 19jähriger Charlie Chaplin, ein junger Anthony Hopkins, die wunderbare Judi Dench, sowie ein damals noch völlig unbekannter aber begabter junger Tenor namens Luciano Pavarotti, um nur einige zu nennen. Stan Laurel und Oliver Hardy wurden bei ihren Auftritten hier wie Könige gefeiert und das leuchtend rote Haar von Stan Laurel sorgte für überraschte Gesichter – waren die beiden den meisten Menschen ja nur in schwarz-weiß bekannt. 

Written by 

2 thoughts on “Herzinfarkt–Deluxe–Brötchen gegen die Hungersnot

  1. Moin,

    vielen Dank für die tollen Berichte aus Irland. Macht direkt Lust, dort mal hinzufahren – ok, ich wohl eher per Flugzeug …
    Das Frühstücksbrötchen wäre allerdings nix für mich, in Unterkünften mit englischem Frühstück hab‘ ich immer zugesehen, daß ich an Toast und Marmelade komme.
    Eben gesehen, daß Ihr Euch weiter nach N verholt habt. Wollt Ihr Nessie einen Besuch abstatten oder gar zum Pentland Firth?

    Lieben Gruß,

    Jürgen

    1. Moin Jürgen,

      ob mit oder ohne Boot: Irland ist definitiv eine Reise wert! Wahrscheinlich ist ohne Boot und dafür mit Mietwagen noch besser, denn es gibt hier so viel zu sehen, das für uns mit den Öffis schwierig oder gar nicht zu erreichen war. Nur muss man sich dann in den Linksverkehr wagen… 😀

      Und richtig geraten: Wir wollen mal schauen, ob Nessie mal den Kopf aus dem Wasser steckt. Der Caledonian Canal ist bestimmt noch einmal ein kleines Highlight auf dieser Tour. Wir werden berichten!

      LG!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.