Es gibt ein Thema, das die Seglergemeinschaft in den letzten Jahren scheinbar mehr beschäftigt, als alles andere: Orcas. Und nicht nur die Segler interessieren sich für die großen Wale, sondern auch die Mainstream-Medien berichten mittlerweile in schöner Regelmäßigkeit über die „Angriffe der Killer-Wale“.
Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihr noch nichts davon gehört habt: seit mittlerweile einigen Jahren tauchen immer wieder Orcas in kleinen Gruppen zwischen Galizien und Gibraltar in Küstennähe auf und nähern sich Segel- und Fischerbooten einer bestimmten Größe. Die Wale stoßen dabei insbesondere die Ruderblätter an, was in einigen Fällen dazu führt, dass diese abreißen und die Yachten dadurch sinken.
Warum die Orcas sich so gezielt den Schiffen nähern ist absolut unklar. Mittlerweile gibt es hier ganze Forschergruppen, die versuchen herauszufinden, was die Tiere antreibt. Nebenbei stehen die Spekulationen natürlich nicht still. Von Theorien über eine bösartige Orca-Familie, die einen Hass gegen Segler entwickelt hat bis hin zur Annahme, dass die Tiere nur Spielen wollen ist alles dabei.

Es widerstrebt mir ein wenig bei diesem Thema über „Angriffe“ zu sprechen. Dies ist zwar der gängige Ausdruck, den die meisten Verwenden, wenn sie von den Begegnungen mit den Orcas berichten, aber ich glaube fest daran, dass Tiere zunächst mal nicht durch Bosheit getrieben werden. Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube, dass alle Tiere – von Wespen bis hin zu Orcas – hauptsächlich durch ihre Instinkte gesteuert werden, die wiederum hauptsächlich von Grundbedürfnissen geprägt sind, also Nahrungssuche, Sicherheitbedürfnis, Spieltrieb etc. Niemand kann sicher sagen, was der wirkliche Grund für die schlimmen Schäden durch die Orcas ist, aber hin und wieder schaffen es die Crews eine Kamera ins Wasser zu halten und die Begegnungen zu dokumentieren. So zum Beispiel auch die Crew des Ocean Racers von Team Yayo, die während des Rennens 2023 in der Bucht von Gibraltar auf die Orcas stieß. Das entstandene Video schaffte es natürlich in die Presse und wurde heiß diskutiert. Ehrlich gesagt, hat mich dieses Video noch mehr in meiner Annahme bestätigt, dass hier niemand was Böses im Sinn hat. Für mich sieht es so aus, als würden die riesigen Wale tatsächlich nur spielen wollen. Stupst aber so ein mehrere Tonnen schweres Tier mit seiner Nase gegen ein dünnes Ruderblatt, kann da natürlich einige kaputt gehen. Das ist aber wie gesagt meine persönliche Meinung.
Neben der Suche nach den Gründen für die „Angriffe“ wird natürlich noch viel intensiver darüber gesprochen, wie man sich wehren kann.
Hier wird die Diskussion zuweilen ziemlich schmutzig. Es gibt Segler – und wir hatten schon Begegnungen mit dem ein oder anderen dieser Sorte – die der Meinung sind, dass sie „DAS RECHT haben lang zu segeln wo sie wollen und die Orcas haben das gefälligst nicht zu behindern!“. Das sind diejenigen, die sich vor den Passagen durch die bekannten Orca-Gebiete bewaffnen und tatsächlich mit Leuchtraketen, Warnpistolen oder schlimmerem auf die Tiere schießen. Die Angst einiger Segler führte vor kurzem sogar so weit, dass sie sich Bügel mit spitzen Stacheln aus Stahl anfertigten, die um das Ruder gelegt wurden. So würden die Orcas schwer verletzt falls sie die Ruderblätter anstupsten. Ich glaube es versteht sich von selbst, dass dies absolut zu weit geht.
Sanftere Abwehrmethoden sind unter anderem spezielle Pinger, die im Wasser einen für die Tiere unangenehmen, aber ungefährlichen Ton abgeben und sie so in die Flucht schlagen. Ähnliche Effekte kann man angeblich auch erzielen, indem man lange Eisenstangen ins Wasser hält und darauf klopft. Manche schütten Sand ins Wasser, wenn sich die Orcas nähern, andere stoppen hart auf, geben Vollgas oder fahren Rückwärts. Es gibt Theorien, dass bestimmte Farben beim Unterwasseranstrich die Tiere anlocken oder dass man sie mit großen Fendern hinter dem Boot ablenken kann. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Sicher weiß man, dass die Orcas nicht in flache Gewässer schwimmen. Eine Möglichkeit um Kontakte mit den Orca-Gruppen zu vermeiden ist also dicht unter Land entlang zu segeln, möglichst in Gruppen. In einigen Regionen ist das allerdings auch nicht ganz ungefährlich, denn das Wasser kann sehr schnell zu flach werden und zu Havarien führen. Bei rauen Bedingungen sollte man unbedingt vermeiden der Küste allzu nah zu kommen.
Mittlerweile gibt es Apps und Internet-Seiten mit deren Hilfe man verfolgen kann, wo sich die Orcas gerade aufhalten. Hier werden alle Sichtungen, Begegnungen, Schäden und natürlich Rettungseinsätze angezeigt. Da diese Wale allerdings sehr schnell unterwegs sind muss man hier genau hinschauen und sollte die Distanzen, die diese Tiere zurücklegen können nicht unterschätzen.
Haben wir Angst? Naja, ein bisschen mulmig wird es einem schon, vor allem weil man nicht wirklich weiß, was da bei den Orcas los ist, aber richtige Angst haben wir bisher noch nicht. Das kann natürlich noch kommen, wenn wir uns den bekannten Orca-Regionen nähern, aber wir versuchen hier nicht in Panik zu verfallen. Die Krassy gibt uns auch in dieser Hinsicht ein sehr sicheres Gefühl. Wir können natürlich nicht ausschließen, dass sie Schaden nehmen würde, aber wir fühlen uns mit unserer stabilen Schwedin ziemlich sicher. Und wie ein Durchreisender in unserem Hafen mal sagte: „Orcas? Ach, die gehen nur auf Beneteaus!“ 😉
Sind wir vorbereitet? Ehrlich gesagt nein. Wir werden wahrscheinlich keine Eisenstangen oder Säcke voll Sand durch die Gegend fahren, und Waffen schon mal gar nicht… Pinger scheinen noch die sinnvollste Abwehr darzustellen, denn auch die Marine setzt solche Systeme ein um Meeressäuger zu verscheuchen bevor sie z.B. Sprengungen durchführen. Ganz günstig sind diese Dinger aber selbstverständlich nicht. Das Geschäft mit der Angst ist immer recht einträglich…
Wir werden uns während unserer Reise sicher noch mal mit diesem Thema auseinander setzen, wir hoffen aber sehr, dass uns hierbei nicht allzu viel Panik entgegenschlägt. Fast jeder mit dem man spricht kennt jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, dessen Boot „angegriffen“ wurde. Wie oft hier wirklich was passiert finde ich schwer einzuschätzen. Klar, man hört und liest immer wieder von Begegnungen, viele ohne Folgen, aber gemessen auf die Anzahl der Boote, die die betroffenen Gebiete passieren scheint es so als würde verhältnismäßig selten wirklich was passieren.
Wir haben auf unserer letzten Reise gelernt vorsichtig mit der Angst anderer umzugehen. Zu dieser Zeit erzählten uns viele Leute sehr ausgiebig und anschaulich von der Hölle der Biskaya. Auch hier gab es natürlich viele Berichte über schlimme Stürme und schwere Schäden. In den Tag vor unserer ersten Biskaya-Querung machten wir uns übelst ins Hemd vor Angst. Vor keiner anderen Überfahrt hatten wir je solche Angst gehabt und dann stellte sich die Biskaya als windstille Badewanne heraus. Und das zwei Mal. Im Winter sieht das sicher anders aus, aber wir lernten, dass Informationen immer im richtigen Kontext betrachtet werden sollten und dass es meistens gut ist einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von Angst lähmen zu lassen.
Es fällt mir aktuell sehr schwer zu sagen, wie ich wohl reagieren würde, wenn sich Orcas dem Boot nähern. Ich glaube in mir würde ein harter Kampf zwischen der Angst vor Schäden und der Begeisterung, diese unglaublichen Tiere in freier Wildbahn zu sehen, ausbrechen. „Ehrfurcht“ wäre wahrscheinlich für beide Fälle das richtige Wort…