Ich stelle mal die steile These auf, dass jeder in seinem Leben schon mal seekrank war. Vielleicht ist es nicht mal auf See passiert, sondern bei einer holprigen Busfahrt, in einem wilden Karussell oder sogar einfach nur auf einer Schaukel.
Seekrankheit bedeutet in den meisten Fällen nicht, dass man kotzend über der Reling hängt, es kann auch einfach heißen, dass man ein flaues Gefühl im Magen hat und sich einfach ganz allgemein unwohl fühlt.
Selbst die stabilsten Seebären kann die Seekrankheit ereilen, davor ist niemand so 100%ig gefeit… Es ist aber wahr, dass manche Menschen anfälliger dafür sind, als andere.
Ich zum Beispiel habe schon als Kind reihenweise Autos ruiniert, denn wenn die Fahrt länger als 10 Minuten dauerte, drehte sich mir schon der Magen um. Kam dazu noch der Geruch alter Ledersitze, dann war es endgültig vorbei. Dieser Geruch löst bei mir noch heute Übelkeit aus. Meine Mama ging damals niemals ohne einen großen Vorrat „Anti-Kotz-Kaugummis“, wie wir sie treffend nannten, aus dem Haus. Die Kaugummis der Marke Superpep gibt es heute noch in der Apotheke und ich kaute als Kind so lange darauf herum, dass mir regelmäßig die Zunge ganz taub wurde. Aber sie halfen.
Auch jetzt, mit mittlerweile gut 15.000 gesegelten Meilen im Blut, bin ich noch immer sehr anfällig gegen Seekrankheit. Nur einmal hat es die Krassy geschafft mich über die Reling zu hängen, auf dem Start in den Urlaub 2021 kurz vor Helgoland. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, ich hatte gerade am Tag zuvor eine Covid-19-Impfung bekommen und die vertrug sich offenbar gar nicht mit der Nordsee vor Helgoland…
Seekrankheit kommt selten überraschend. Sie bahnt sich langsam an und mit der Zeit lernt man die Zeichen zu lesen. Meist beginnt es damit, dass man leicht fröstelt und irgendwie müde wird. Wenn jemand ununterbrochen an Bord gähnt, dann sollte man ihn im Auge behalten! Als nächstes meldet der Magen, dass er Hunger hat. Es fühlt sich zumindest so an und wenn man es ignoriert, dann wird aus dem leichten Hungergefühl schon bald der Eindruck Luft im Bauch zu haben. Man stößt auf und spätestens jetzt sollte man unbedingt was essen.
Erwischt einen die Seekrankheit so richtig, dann trifft es zu, was der Hamburger Hochseefischer in einem bekannten YouTube-Clip sagt: „Wenn du seekrank bist, dann hast du keine Angst, dass du stirbst, dann hast du Angst, dass du lebendig bleibst. So schlimm ist das!“ Er hat uneingeschränkt recht. Eine ausgewachsene Seekrankheit schaltet einen komplett aus, man ist absolut nicht mehr handlungsfähig und es geht einem so schlecht, dass man an nichts anderes denken kann, als dass es bitte endlich vorbeigeht. Das wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht.
An eurer Stelle würde ich mich wahrscheinlich spätestens jetzt fragen, warum jemand, der weiß, dass er schnell seekrank wird, überhaupt so bekloppt ist auf eine Segeltour über den Atlantik zu gehen. Gute Frage. Aber die Antwort ist einfach: weil es das wert ist!
Wenn man die Seekrank versteht, dann kann man sich zudem ganz gut davor schützen. Es gibt Mittel und Wege, wie man sich das Leben an Bord auch bei wilden Bedingungen gut einrichten kann ohne dabei regelmäßige Nahtoderfahrungen zu machen.
Zuerst mal sollte man verstehen, wie Seekrankheit überhaupt entsteht.
Als Kind eines sehr erfahrenen HNO-Arztes (Hallo Papa! :-)) habe ich schon früh gelernt, dass See- oder Reisekrankheit im Innenohr entsteht. Hier sitzt das so genannte Gleichgewichtsorgan, das uns aufrecht hält. Ist dieses aus irgendeinem Grund gestört, dann wird einem schwindelig oder schlecht. Man kann das sogar bewusst hervorrufen, indem man einem Menschen kalte oder warme Luft ins Ohr bläst.
Normalerweise bringt unser Gehirn unsere Bewegungen mit unserem Umfeld direkt in Verbindung, wenn wir uns aber auf einem unnatürlichen und vor allem bewegten Untergrund befinden, wie zum Beispiel in dem Wagen einer Achterbahn oder auf einem Segelboot, dann kann es passieren, dass unser Gehirn und das Gleichgewichtsorgan verwirrt sind. Die Bewegung ist unnatürlich und unsere Augen erfassen etwas anderes als das, was das Innenohr an Signalen weitergibt. So entsteht Schwindel und daraus folgt Übelkeit.
Zu Beginn einer entstehenden Seekrankheit kann man hier ganz gut gegensteuern indem man Auge und Innenohr neu „kalibriert“. Eine Möglichkeit, die einem oft als Ratschlag gegeben wird ist auf den Horizont zu schauen. Der bewegt sich nicht und gibt unserem Hirn so das Signal „Alles ok, kannst dich wieder entspannen!“. Es gibt sogar spezielle Brillen für Segler, mit einem künstlichen Horizont. Damit sieht man aus wie ein Voll-Horst, aber ob es funktioniert kann ich nicht sagen, die hab ich noch nie getestet.
Die andere Möglichkeit ist sich flach auf den Rücken zu legen. Das scheint irgendwie das Innenohr zu erden und kann auch sehr gut helfen.
Neben den körperlichen Ursachen ist Seekrankheit aber sehr stark auch etwas, was im Kopf abläuft. Ich habe über die Jahre festgestellt, dass die wichtigsten Ursachen die folgenden sind:
- Angst
- Kälte
- Hunger
- Müdigkeit
Angst ist sicher der größte Faktor und zumindest bei mir ist es in der Regel nicht die Angst vorm Segeln oder dem offenen Meer oder ähnliches. Es ist die Angst davor seekrank zu werden. Ein sich selbst verstärkender Effekt, den man unbedingt überwinden muss. Kommt man mal in eine brenzligere Situation auf See ist es häufig so, dass die Crew anschließend seekrank wird. Selbst Christian, der eigentlich einen Magen aus Stahl zu haben scheint, ist meist nur nach solchen (zum Glück sehr seltenen) Situationen etwas angeschlagen.
Kälte und Müdigkeit sind oft gleichzeitig Auslöser und Symptom. Sich von Anfang an warm zu halten ist wichtig und wenn man den Eindruck hat irgendwie nicht so recht ausgeschlafen zu sein ist auch die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass einem unterwegs zumindest flau im Magen wird. Dummerweise führt die Seekrankheit selbst aber auch dazu, dass man friert und schläfrig wird, man kann also manchmal schwer erkennen, was zuerst da war.
Hunger ist ein Phänomen, denn sagt man Menschen, denen an Bord schlecht wird, dass sie dringend was essen sollten, dann winken die meisten instinktiv ab. Tatsächlich ist es aber so, dass der Magen sich in der Regel sehr schnell beruhigt, sobald er was zutun bekommt. Das funktioniert allerdings nur so lange man noch nicht im roten Bereich angekommen ist, was die Übelkeit betrifft. Deshalb ist es umso wichtiger beim ersten Anzeichen von Luft im Bauch mit Nahrung gegenzusteuern. Ich würde in diesem Fall weniger ein scharfes Chilli empfehlen, sondern eher leichter bekömmliche Dinge wie Knäckebrot. Ganz besonders gut funktionieren übrigens Paprika-Chips. Vielleicht liegt es am hohen Salz- und Fettgehalt, aber kaum etwas beruhigt einen aufgebrachten Magen so gut. Dumm nur, dass den ganzen Tag auf See Chips zu futtern auch den Effekt hat, dass man irgendwann kugelrund wird…
Für mich funktionieren 3 Dinge am besten:
Erstens: Steuern. Wenn die See aufgewühlt ist und man eine einigermaßen überschaubare Etappe vor sich hat, dann ist es die absolut beste Medizin das Boot zu steuern. Hierbei ist man. nämlich auf die Bewegungen des Bootes und die Wellen konzentriert und lenkt sich so automatisch von jeglichem aufkommenden Unwohlsein ab. Wichtig ist allerdings, dass man sich dabei warm anzieht, denn am Steuer kann es zugig und zuweilen auch sehr nass werden. Außerdem funktioniert das natürlich nur, wenn man keine mehrtägige Seeetappe oder Nachtfahrt vor sich hat. Ich hab mitunter auch schon 8-10 Stunden durch gesteuert und so vermieden, dass mir in wirklich wilden Bedingungen schlecht wurde. Spaß macht es noch dazu ja auch.
Zweitens: auf keinen Fall unter Deck gehen. Es ist nicht nur der Horizont, den man unter Deck aus dem Blick verliert. In kleinen Räumen wirken die Bewegungen des Bootes deutlich schlimmer als draußen. Dazu kommt der fehlende Strom aus frischer Luft. Wenn man es also vermeiden kann, sollte man sich möglichst nicht unter Deck aufhalten, wenn man angeschlagen ist. Richtig blöd ist es allerdings, wenn man im Laufe eines langen Segeltages unweigerlich irgendwann mal pinkeln muss… Dann gilt es: Augen zu und durch, aber es kann auch dazu führen, dass man danach eine Extra-Portion Sauerstoff benötigt..
Drittens: wenn nix mehr hilft, Medikamente. Es gibt Situationen, da ist es die richtige Entscheidung rechtzeitig was gegen die Übelkeit einzunehmen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten und alle haben wie üblich ihre Vor- und Nachteile.
Ist man nur für einen Tag unterwegs, dann helfen die stinknormalen Reisetabletten aus der Apotheke sehr zuverlässig. Wichtig ist, dass man sie früh genug einnimmt und nicht erst, wenn einem schon übel ist. Die Tabletten brauchen ca. 1/2 Stunde Vorlaufzeit und man merkt sehr schnell, dass sie wirken, denn die Dinger versetzen einen ins Koma. Also im übertragenen Sinne, denn sie machen unfassbar müde. Man sollte sich also drauf einstellen, dass man eventuell mal ein Stündchen schlafen muss, wenn man eine Reisetablette eingeworfen hat. Es ist immer ratsam das vorher auch mit dem Skipper abzusprechen.


Mein Allheilmittel und die absolute beste Lösung für mich auf längeren Überfahrten sind Scopolamin-Pflaster. Die kleinen Pflaster klebt man sich hinters Ohr und sie geben für ca. 72 Stunden einen Wirkstoff ab, der die Reisekrankheit so wirksam verhindert, dass man damit auch dauerhaft in einer Achterbahn sitzen könnte. Diese starke Wirkung hat aber ihren Preis, denn obwohl die Pflaster überhaupt nicht müde machen, haben sie mitunter heftige Nebenwirkungen und sind deshalb auch rezeptpflichtig. Leidet man an Herzerkrankungen sollte man tunlichst die Finger davon lassen, aber auch bei gesunden Menschen führen sie dazu, dass man auf kurze Distanzen nur noch unscharf sehen kann oder auch dass man einen fürchterlich trockenen Mund bekommt. Bei mir hat zudem auf der letzten Reise der Kleber in Kombination mit heißen Temperaturen in der Karibik zu einer allergischen Hautreaktion an der Klebestelle geführt. Ich bin dann damals für die Rückreise wieder auf Tabletten umgestiegen.
Trotz der Nebenwirkungen sind die Pflaster für mich die beste Lösung und allein schon das Wissen, dass ich ein Pflaster aufgeklebt (oder eine Tablette genommen) habe hilft ungemein. Wie ich in der Vorbereitung für diese Reise lernen musste, werden die Scopoderm-Pflaster übrigens nicht mehr hergestellt. Warum weiß ich nicht, aber ich konnte mit einiger Mühe noch einen kleinen Vorrat bekommen. Bei einem Preis von stolzen 5 Euro pro Pflaster teile ich sie mir aber sehr gut ein!
Was übrigens auch sehr zuverlässig hilft ist Ingwer. Die scharfe Knolle ist ein kleines Wundermittel und fährt bei uns immer mit. Als Tee finde ich den Ingwer besonders gut.
Ich habe mir noch ein paar Alternativen zu Reisetabletten und Scopoderm-Pflastern organisiert, die ich auf dieser Reise mal testen werde. Das eine sind Ingwer-Kaugummis, die fürchterlich unappetitlich aussehen, aber bei leichter Flauheit ganz gut zu helfen scheinen. Das andere sind irgendwelche Kräuterpflaster, die angeblich auch Reisekrankheit verhindern sollen. So richtig hab ich mich da allerdings noch nicht ran getraut…
Nach längerer Zeit an Bord und auf See gewöhnt sich der Körper übrigens zunehmend an die Bewegungen und man wird automatisch resistenter. Aktuell liegen wir in Brighton bei viel Wind in einem recht ungeschützten Hafen und die Krassy ist permanent in Bewegung. Noch vor 2 Wochen hätte ich es sicher nicht ausgehalten hier längere Zeit unter Deck vor meinem Bildschirm zu sitzen, aber es wird langsam immer einfacher.
Ein interessantes Phänomen ist übrigens auch die so genannte Landkrankheit. Die überfällt mich auch gern mal und tritt immer dann auf, wenn man einen wilden Tag auf See oder eine längere bewegte Etappe hinter sich hat und sich zurück an Land in kleinen Räumen wie Toiletten- oder Duschkabinen aufhält. Dann kann es schon mal passieren, dass sich die kleine Kabine plötzlich zu drehen anfängt. Landkrankheit ist aber harmlos und bringt einen eher zum Schmunzeln als zum Kotzen…
Was habt ihr für Erfahrungen mit Seekrankheit gemacht? Schreibt uns gern für ein paar Tipps oder Anekdoten dazu. Wir freuen uns über eure Kommentare und Nachrichten!
In diesem Sinne, bleibt gesund!