Das Ruderlager – haben wir jetzt völlig den Verstand verloren?

Es gibt bei der Enderlein-Reihe von Hallberg-Rassy eine kleine Besonderheit, die uns viele schlaflose Nächte bereitet hat, im wahrsten Sinne des Wortes. Die gemäßigten Langkieler haben alle die gleiche Rumpfform, hübsch geschwungen und sehr stabil.

Das Ruderblatt ist mit 2 Beschlägen am Skeg befestigt und wird natürlich zusätzlich von oben durch den Ruderschaft gehalten. Am Ruderschaft ist der Quadrant befestigt, der die über Kettenzüge zum Steuerrad führt. So wird also die Drehung des Steuerrads über den Ruderquadranten auf das Ruderblatt übertragen. Sollte hier mal was kaputtgehen, ist der obere Teil des Ruderschafts am Achterdeck direkt zugänglich und mit unserer Notpinne könnten wir hier relativ einfach weiter steuern.

So viel zum Aufbau, aber worauf will ich eigentlich hinaus? Das Ruderblatt ist, wie bei allen Booten relativ schwer und muss immense Kräfte aufnehmen. In unserem Fall wirken diese Kräfte besonders stark auf dem unteren Beschlag zwischen Ruderblatt und Skeg. Über die Jahre führt das dazu, dass der Bolzen in diesem Scharnier anfängt sich zu bewegen. Erst nur ganz wenig, dann immer mehr. Hierdurch schlägt die Buchse aus in der der Bolzen steckt und alles ist plötzlich nicht mehr so ganz rund – im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Ruder bekommt im unteren Bereich Spiel und wackelt sozusagen in seinem Scharnier herum. Die meiste Zeit über merkt man das gar nicht, denn wir reden hier nur von wenigen Millimetern. Segelt man jedoch vorm Wind mit achterlicher Welle (was wir auf unserer Atlantikrunde sehr viel getan haben und bald wieder tun möchten), dann rumpelt das Ruder so gewaltig, dass die Schläge durchs ganze Boot schallen. Das ist beunruhigend, auch wenn man weiß, dass es eigentlich nicht schlimm ist und es bringt einen um den Schlaf, wenn man versucht in seinen kurzen Freiwachen ein wenig Erholung zu bekommen.

Auf unserer letzten Reise erschreckte uns dieser Umstand sehr und bereitete uns durchgehend ein irgendwie komisches Gefühl im Bauch. Wir unterhielten uns zu diesem Thema viel mit anderen Rassy-Eignern, die ebenfalls Boote aus der Enderlein-Serie segelten (zum Glück kennen wir da ein paar sehr coole Leute). Unsere Freunde von der SY Leonora hatten das gleiche Problem wie wir und gingen diese Baustelle während ihrer Reise in Trinidad an. Ganz hemdsärmelig wurde hier einfach der Skeg abgeflext, das Scharnier ausgebaut, neu verbolzt und wiedereingesetzt. Der Skeg musste zwar wiederaufgebaut werden, aber das war alles kein Problem.

Christian wurde hier schon beim Zuhören ganz blass. Auf keinen Fall würden wir den Skeg abflexen! Respekt, dass sich unsere Freunde von der Leonora das getraut hatten! Aber für uns Mimöschen musste eine andere Lösung her.

Wir gingen also zurück zur Quelle und kontaktierten Hallberg-Rassy Deutschland. Dort erfuhren wir zunächst, dass dieses Problem wohl bekannt sei. So lange das Spiel im Ruder weniger als einen Zentimeter ausmacht muss man sich aber keine Sorgen machen. Es rumpelt, aber passieren kann hier nichts weiter. Ok. Klang schon mal gut, denn bei uns war das Spiel noch deutlich kleiner. Trotzdem wollten wir das Gerumpel abstellen.

Wir erfuhren, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt um das Problem zu beheben.

Möglichkeit 1: einfach den Ruderschaft oben rausziehen. Hierfür muss der obere Beschlag freigelegt und eine große Mutter gelöst werden. Dann kann man den konisch geformten Ruderschaft nach oben rausziehen und das Ruder so demontieren. Den unteren Beschlag könnte man dann einfach nacharbeiten lassen und alles wieder einsetzen. Klang einfach, das probierten wir aus.

Wollt ihr mal raten?

Natürlich ließ sich der verfluchte Ruderschaft nicht mal einen Mikrometer bewegen! In unserer Trockensaison 2020 auf Fehmarn waren wir dieses Projekt angegangen. Wir schlugen den Spachtel um den oberen Beschlag weg, legten den unteren Beschlag frei, lösten den Ruderquadranten ab und besorgten uns einen gigantisch großen Schraubenschlüssel um die Mutter am Ende des Schafts zu lösen. Alles war frei, nur noch den Ruderschaft oben rausziehen. Haha.

Wir zogen von oben, drückten von unten, klemmten sogar rechts und links einen Keil unter den Schaft und droschen wie die Irren mit Hämmern gleichzeitig auf die Keile ein um den Ruderschaft hochzudrücken. Nichts. Keine Bewegung. Kein befreiendes Knacken. Eine extra angeschaffte Heißluftpistole sollte die Rettung bringen (beim Propeller hatte dieser Trick auch schon mal funktioniert), aber auch die änderte nichts. Genau so wenig halfen die Hektoliter an WD40, die wir in alle Ritzen sprühten. Der Ruderschaft steckte fest! Wir unkten, dass die Krassy wahrscheinlich in tausend Stücke zerschellen könnte, aber der blöde Schaft würde immer noch bombenfest im Ruder stecken. Jeder Orca würde sich hier bloß eine Beule holen während die Krassy fröhlich weitersegeln würde.

Nach mehreren Wochen und unzähligen Versuchen gab wir auf. Zum ersten Mal in unserem Leben brachen wir ein Krassy-Projekt ab, weil wir einfach keine Lösung fanden. Wir spachtelten und laminierten alles wieder zu und von unserem gescheiterten Versuch war nichts mehr zu sehen. Das Rumpeln blieb und nervte uns mehr denn je.

Es gab aber noch Möglichkeit 2: bei dieser Quick-and-Dirty-Lösung schraubt man einfach zwei riesige Madenschrauben von außen in das untere Scharnier. Der wackelnde Bolzen wird dadurch an Ort und Stelle gehalten und bei nicht allzu schlimmen Härtefällen ist das Problem erst mal gelöst. Man müsste nicht mal großartig was freilegen, der Arbeitsaufwand wäre also wirklich minimal.

Eine tiefsitzende Abneigung gegen Madenschrauben ließ uns zögern. Alles, wirklich alles, was mit Madenschrauben befestigt ist löst sich früher oder später. Man bekommt diese Dinger einfach nie richtig fest, zumindest nicht langfristig und schon gar nicht, wenn man bewegliche Teile damit festmachen möchte.

In unserer Verzweiflung kauften wir zwar schon mal die Madenschrauben (keine allzu große Investition), wehrten uns aber innerlich gegen diese „schmutzige“ Lösung.

Also blieb nur noch Möglichkeit 3: den Skeg abflexen. Also das, was unsere Freunde von der Leonora gemacht hatten. Allein der Gedanke daran so ein strukturell wichtiges Teil so zu beschädigen verlieh uns eine Gänsehaut und so dauerte es geschlagene 3 Jahre, bis wir uns dazu durchringen konnten.

Im Winter 2023 war es so weit. Wir setzten das Werkzeug an und kaum waren die ersten großen Brocken Material vom Skeg abgeschlagen war der Knoten geplatzt. Kein Zurück mehr, jetzt mussten wir das durchziehen. Wir hatten das mit dem Deck hinbekommen, also würden wir auch das hier schaffen.

Das Scharnier freizulegen war nicht allzu schwierig. Den Skeg hatten wir auf beiden Seiten so verjüngt, dass man das Scharnier nur noch so weit nach unten schieben müsste um es unter dem Skeg herauszuziehen. Dafür musste das ganze Ruderblatt abgesenkt werden. Da das Ding aber wie gesagt ziemlich schwer ist, nahmen wir uns einen Wagenheber und jede Menge Holzklötzchen zu Hilfe. Ganz langsam und vorsichtig senkten wir das Ruderblatt Zentimeter um Zentimeter ab bis wir gerade tief genug waren um den Beschlag abzuziehen. Hallelujah! Das Teil war ausgebaut.

Der Bolzen und die Buchse im Scharnier waren tatsächlich ausgeschlagen, sahen aber nicht annähernd so schlimm aus wie wir befürchtet hatten. Dass so ein winziger Spalt so einen erbärmlichen Krach verursachen konnte…

Als nächstes hatten wir 2 Aufgaben:

  1. den Beschlag nacharbeiten lassen und
  2. hoffen, dass die Werft nicht auf die Idee käme unser Boot in der Halle zu rangieren. Das Ruder war schließlich lose…

Unseren Beschlag wollten wir eigentlich beim lokalen Schlosser bearbeiten lassen, der kam aber nicht in die Hufe und nachdem das Teil dort ganze 2 Wochen unangetastet rumgelegen hatte holten wir es wieder ab und brachten das gute Stück zum Propellerbauer SPW in Bremerhaven (wo wir eh gerade unseren neuen Prop in Auftrag gegeben hatten). Support your local.

Fachmännisch wurde dort ein neues Lager in den Beschlag gepresst und ein neuer Bolzen gefertigt. Alles saß wie A… auf Eimer und bewegte sich geschmeidig hin und her.

Tja, dummerweise kam jetzt erst der schwierige Teil. Etwas auszubauen ist immer einfach. Es wieder zurück an seinen ursprünglichen Platz zu bekommen leider nicht. Stundenlang saßen wir vor unserem ramponierten Ruderschaft und kratzten uns am Kopf. Der Untergrund, auf dem das Scharnier zuvor gesessen hatte war alles andere als eben. Wir konnten das Scharnier zwar einsetzen und das Ruderblatt wieder auf die richtige Höhe heben, aber sobald wir das Ruder hin und her bewegten wackelte auch der blöde Beschlag auf und ab. So sollte das nicht aussehen! Wir konnten einfach nicht die richtige Position finden in der der Beschlag sich nicht mehr bewegen würde. So konnten wir ihn auf keinen Fall wieder einlaminieren, denn dann würde uns wahrscheinlich bei der ersten großen Welle das ganze Laminat wieder aufreißen.

Uns rauchten langsam die Köpfe und außerdem verrann mal wieder die Zeit. Dieses kleine Projektchen hatte uns schon wieder den ganzen Winter beschäftigt und mal wieder rückte der Frühling in greifbare Nähe. Schließlich kamen wir zu dem Schluss, dass wir den Untergrund ausebnen mussten und zwar am besten mit eingesetztem Beschlag. Wir fetteten also die Schauben gut ein, kauften ein paar Dosen Play-Doh, das wir in Plastikbeutel füllten und dichteten damit die Unterseite des Beschlags ab. Von oben ließen wir dann sehr vorsichtig mit einer Spritze angedicktes Epoxy hinter den Beschlag laufen um alle Unebenheiten zu füllen. Das Play-Doh hinderte das Epoxy daran bei dieser Aktion einfach nach unten raus zu laufen. Guter Trick, wie ich finde und er funktionierte hervorragend. Nach dem Aushärten konnten wir die Knetmasse einfach wieder ablösen und unser Beschlag saß auch bei allen Bewegungen schön fest an Ort und Stelle. Der schwierigste Teil war somit geschafft.

Wir konnten jetzt unseren Beschlag wieder einlaminieren und den Skeg wieder zu seiner ursprünglichen Form aufbauen. Es dauerte natürlich eine ganze Weile bis wir alle Untergründe vorbereitet, die vielen Schichten Laminat aufgetragen, geschliffen, gespachtelt und wieder geschliffen hatten und erforderte ein wenig Geschick im Modellieren, aber als wir endlich fertig waren und alles wieder in den richtigen Farben mit Anti-Fouling gestrichen war, konnte man kaum noch erkennen, dass wir hier Hand angelegt hatten.

In der folgenden Saison segelten wir die Krassy über die Ostsee nach Dänemark, durch den Limfjord und auf der Nordsee-Seite über Sylt und Helgoland wieder zurück. Hier gab es auch mal wieder Wind von hinten, ein paar rauere Segeltage und sogar eine Nachtfahrt auf der Nordsee (yay!). Im Ruder blieb es ruhig und wann immer Christian eine Runde Baden ging checkte er natürlich auch unseren neu aufgebauten Skeg. Keine Risse, keine Schäden, das Ruder läuft rund.

Ich würde sagen, wir waren erfolgreich, auch wenn man hier – anders als beim Teakdeck – das Ergebnis unserer Arbeit nicht sehen kann. Und bitte, ich möchte, wenn möglich, diesen Beschlag auch nie wieder in den Händen halten, der ist jetzt hoffentlich für alle Ewigkeit unter einer dicken Schicht Laminat begraben.

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