Hinter Gittern

Peterhead, Schottland

Wir haben ganz schön lange nichts von uns hören lassen. Ein Grund dafür: Wir waren im Knast. Dazu mehr aber später. Von Lossiemouth aus hangelten wir uns weiter nach Osten vor. Der nächste Step war Whitehills, ein Dörfchen mit einem winzigen aber sehr netten Yachthafen. Auch dort galt die Devise, um Hochwasser herum anzukommen, also klingelte der Wecker wieder erbarmungslos früh. Der Vorteil davon ist aber, dass man plötzlich viel Zeit hat, den Ort, an dem man angekommen ist, noch etwas erkunden zu können. 

In Whitehills gibt es nicht besonders viel außer einem Supermarkt, einem Restaurant, einer Fish-and-Chips-Bude, einer Töpferei und einem größeren Fischverarbeitungsbetrieb mit Fischgeschäft. Der Ort ist etwas verschlafen, hat aber diese gepflegte schottische Gemütlichkeit. Wir suchten uns ein Mittagessen und kauften uns im Fischladen ein paar Schollenfilets und eine geräucherte Makrele zu einem echt fairen Preis.

Wieder ging es früh raus – Ausfahrt natürlich wieder um Hochwasser. Es stand eine im Vergleich zu den letzten Tagen längere Distanz an, und davon würden wir ein gutes Stück aufkreuzen müssen. Was sich ein bisschen wie Quälerei anhört, war aber am Ende ein echt toller Segeltag mit viel Sonnenschein. Am späten Nachmittag erreichten wir dann die Marina von Peterhead.

Hier würden wir wohl ein paar Tage bleiben, bis sich ein halbwegs sinnvolles Wetter für die Fahrt in Richtung Norwegen oder gar Dänemark ergibt. Peterhead an sich ist eher eine zweckmäßige Stadt, gebaut um einen großen Hafen, in dem recht viel Betrieb herrscht. Einerseits sind hier viele Fischer unterwegs, andererseits scheint das hier ein bedeutender Stützpunkt für die Versorgung der britischen und norwegischen Ölfelder und Bohrinseln in der Nordsee zu sein. Es herrscht jedenfalls ein reges Kommen und Gehen der markanten Offshore-Versorgungsschiffe. 

Ansonsten hat Peterhead einen großen Knast. Steng genommen gibt es hier sogar zwei Gefängnisse, ein altes und ein neues, wobei das alte Gefängnis heutzutage ein Museum ist. Da Peterhead sonst nicht allzu viel zu bieten hat, haben wir uns also einmal hinter Gitter begeben. An Wochenenden gibt es geführte Touren, und wir konnten tatsächlich noch ein paar Tickets ergattern. So wurden wir, zusammen mit drei weiteren Besuchern von David, einem ehemaligen Wärter, der 25 Jahre lang im Gefängnis gearbeitet hat, durch den Bau geführt.

Interessant ist zunächst einmal der Hintergrund des Gefängnisses. Es wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, um kostenlose Arbeitskraft nach Peterhead zu bringen. Es gab nämlich den ambitionierten Plan, die Bucht von Peterhead durch eine gewaltige Mauer der Nordsee abzutrotzen, um den bestehenden Hafen in einen großen und sicheren Fluchthafen zu verwandeln, der im Prinzip bei jedem Wetter und jeder Gezeit anlaufbar sein soll. Die Arbeitskraft zu diesem Unterfangen stellte zu einem großen Anteil das Gefängnis zur Verfügung. In England wohl etwas üblicher, war Peterhead Prison das erste schottische Gefängnis für Kriminelle, die zu Zwangsarbeit verurteilt wurden. 

Zur Arbeit fuhren die bis zu 450 Insassen mit der Bahn. Eine kurze Eisenbahnstrecke wurde extra dafür errichtet, die Gefangenen sicher vom Gefängnis  zur Baustelle fahren zu können und zurück. Insgesamt 70 Jahre zogen sich die Bauarbeiten hin, unterbrochen von zwei Weltkriege, bis beide Teile der Mauer im Jahre 1956 fertig gestellt wurden. 

In der jüngeren Vergangenheit diente das Gefängnis, das vor etwas mehr als 10 Jahren geschlossen wurde, natürlich nur noch als normales Gefängnis, ohne harte Zwangsarbeit. Die Insassen konnten durch einige Jobs innerhalb des Gefängnisses allerdings etwas Geld verdienen, z.B. durch das Knüpfen von Sicherheitsnetzen, die auf Offshore-Anlagen zum Einsatz gekommen sind. David, unser Guide, führte uns durch die verschiedenen Gefängnisblocks, die Küche, die Wäscherei, die Krankenstation, durch Sportplätze und Isolationszellen und wartete mit einem Feuerwerk an interessanten Geschichten auf. 

Ein großer Teil der Ausstellung drehte sich um einen Gefängnisaufstand im Jahre 1987. Der Hintergrund war einerseits die Tatsache, dass die Zellen nicht mit eigenen Toiletten ausgestattet waren, sodass sich viele Gefangene dazu bemüßigt sahen, ihre Notdurft auf einem Blatt Zeitungspapier zu verrichten und das dann aus dem Fenster zu evakuieren. David ermahnte uns auch stets, Abstand von den Wänden zu halten, wenn wir nicht von „Poo-Bombs“ getroffen werden wollten. Ein weiterer Grund für die Aufstände lag darin, dass hier viele Insassen untergebracht wurden, die aus einem weit entfernten Teil Schottlands kamen. Familienbesuche waren wegen der sehr weiten Anreise für viele fast unmöglich. Die Stimmung kochte also über, und entlud sich in heftigen Aufständen, in denen randaliert wurde, Barrikaden errichtet wurden, und Teile des Dachs Feuer fingen. Trauriger Höhepunkt war die Geiselnahme eines jungen Wärters, Jackie Stuart, der in Feuerzeugbenzin getränkt auf das Dach gebracht wurde, mit der Drohung, ihn brennend dort hinunter zu werfen. Beendet wurden die Aufstände dann eines frühen morgens von einer Spezialeinheit, die die Aufständischen überwältigte und die Geisel unversehrt befreite. 

David erzählte außerdem von einem berüchtigten Gefangenen, der zusammen mit einem Mitpatienten aus einer geschlossenen Anstalt geflohen war, in dessen Folge drei Menschen ums Leben gekommen sind, zwei davon mit Hilfe einer Axt. Dieser Gefangene wurde als so gefährlich eingestuft, dass er über 20 Jahre lang in einem eigens für ihn eingerichteten Gefängnistrakt saß, ohne einen einzigen Kontakt zu anderen Häftlingen und rund um die Uhr bewacht von drei erfahrenen Wärtern. In seiner Zeit in Peterhead hat er sich damit die Zeit vertrieben, erstaunlich gute und ganz schön niedliche Stofftiere zu bauen, von denen einige in seiner ehemaligen Zelle zu sehen waren. Heute gilt er übrigens als geheilt und rehabilitiert, und lebt in Freiheit. Er ist auch schon ein paarmal als Besucher der Ausstellung ins Gefängnis zurückgekehrt.

Die letzten Tage tröpfelten etwas vor sich hin, das Wetter war nicht so richtig gut, um nach Osten zu kommen. Wir tingelten noch ein paarmal durch die Stadt, wussten aber allmählich nicht mehr so recht etwas mit uns anzufangen. Also machten wir gestern mal wieder einen kleinen Ausflug mit dem Bus. Die Küste hier ist recht steil und spektakulär. Etwas südlich von Peterhead befinden sich die Bullers of Buchan, ein besonders schöner Küstenabschnitt, sowie die Schlossruine Slains Castle. Entlang der Küste verläuft ein Wanderweg, und so konnten wir die müden Knochen mal wieder etwas bewegen und das sonnige Wetter nutzen. 

Das Schloss wurde im 16. und 17. Jahrhundert vom Earl of Errol gebaut und immer wieder erweitert, bis es 1916 von einem seiner Nachfolger in Geldnot verkauft werden musste. Der Käufer ließ es allerdings verfallen und schlachtete es für Baumaterial an anderen Projekten aus. So verfiel das Schloss immer weiter, bis es seinen heutigen gespenstischen Zustand erreicht hat. Ein bekannter Gast im Schloss in seiner Blütezeit war übrigens Bram Stoker, der sich hier für sein Werk Dracula inspirieren ließ.

Das war insgesamt ein schöner, lohnenswerter Ausflug, gekrönt zunächst ganz britisch durch einen Tee mit Scones in einem netten Cafe, und danach mit einem Bierchen und einem Single Malt Whisky in einem Pub, um die Wartezeit auf den Bus für die Rückfahrt zu verkürzen.

Wie geht es nun weiter? Hier im Hafen haben sich in den letzten Tagen ein paar Boote gesammelt, die allesamt auf Wetter gewartet haben. Ein paar davon sind gestern gestartet, vor allem Engländer und Holländer auf dem Weg nach Süden. Wir hoffen darauf, morgen früh die Leinen loswerfen zu können. Es scheint sich etwas ruhigeres Wetter einzustellen, das uns die Chance geben kann, nach Norwegen oder Dänemark zu huschen, bevor es am Sonntag wieder wilder wird. Ob das dann aber auch wirklich losgeht, werden wir morgen früh sehen.

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3 thoughts on “Hinter Gittern

  1. Moin,

    hab‘ gerade bei Marinetraffic gesehen, daß Ihr Norwegen aufgegeben habt und wohl nach Dänemark wollt. Bei der Wetterlage die richtige Entscheidung!
    Falls Ihr noch nicht dort wart: bei starken Winden aus West ist allein Thyboron sicher anlaufbar, Hvide Sande und insbesondere Thorsminde dagegen definitiv nicht. Ich hab‘ das selbst in Hvide Sande erlebt und bin im Juli 2022 3 Tage eingeweht.

    Liebe Grüße,

    Jürgen

    1. Moin Jürgen,

      ja, es ist dann tatsächlich Dänemark geworden. Einerseits wegen des Wetters und andererseits wegen der Zeit, nachdem wir ja nun wieder eine Woche in Peterhead verdödelt haben.

      Und nun, du hast es vielleicht schon auf Marine Traffic gesehen, geht es über die Ostsee zurück. Das wird möglicherweise auch noch etwas nervig werden, wenn ich so ins Wetter schaue…

      LG!

  2. Moin,

    ja hab‘ ich bereits gesehen und mir gedacht: die wollen ihren Ausgangskurs in der Hafeneinfahrt kreuzen und die wirklich „wahre Runde“ vollenden.
    Nee, bei der Wetterlage ist das nachvollziehbar – ich hätte da auch gerne Land in Luv. Vielleicht zur Info, sofern Ihr spät in Büttel eintrefft: seit ca. 1 Woche werden Sportboote zwischen 22 und 6 Uhr nicht mehr geschleust! Genießt bis dahin Aalborg – ich war 2022 und im letzten Jahr dort.

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