Still ruht die See

38°46.0‘N, 030°09.4’W
Während ich meinen letzten Blogbeitrag geschrieben habe, hat das National Hurricane Center (NHC) unsere kleine tropische Depression zum tropischen Sturm mit dem schönen Namen „Andrea“ hochgestuft. Auch wenn Andrea nur etwa zwei Tage lang existierte, markiert sie dennoch als erster benamster Sturm den Beginn der atlantischen Hurricane-Saison 2025. Die alte Binsenweisheit „June – too soon“ trifft heutzutage nicht mehr ganz zu – das hat Beryl im letzten Jahr eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Insofern war es höchste Eisenbahn, dass wir uns wieder auf „unsere“ Seite des Atlantiks begeben. Uns war natürlich bewusst, dass im Juni schon frühe Hurricane auftreten können. Statistisch reichen sie aber nur ganz selten bis auf den Nordatlantik, und wenn, dann ziehen sie vor allem in der Nähe der amerikanischen Ostküste entlang. Sobald wir zu dieser also etwas Abstand gewonnen hatten, waren wir vor größerem Ungemach safe. Junge Systeme, wie etwa jenes, das uns begegnet ist, sind in der Ausdehnung eher klein und können in der Regel umfahren werden. Echte Gefahr geht also vor allem von den Stürmen aus, die in den tropischen Gewässern entstanden sind und dort Energie aufsaugen.
Mit all dem haben wir nun nichts mehr zu tun. Wir haben das Archipel der Azoren erreicht, letzte Nacht hatten wir endlich „Land in Sicht“, in der Ferne an Backbord war der Schein des Leuchtfeuers von Flores zu sehen, und am nächsten Morgen kam auch die Silhouette der westlichsten Azoren-Insel in Sicht. Morgen früh sollten wir die zentraleren Inseln erreichen, und dann werden wir sehen, wo wir festmachen.
Die letzte Woche hatte noch einiges zu bieten. Wie im letzten Beitrag geschrieben, war für ein paar Tage Westwind vorhergesagt, der uns bei sonnigem Wetter auch gut voran kommen ließ. Der einzige Wermutstropfen war, dass der Wind sukzessive zunehmen sollte und dass uns dann eine Kaltfront überholen würde.
So reduzierten wir von Tag zu Tag unsere Segelfläche, und von Tag zu Tag baute sich eine höhere See auf. Freitag hatten wir durchgehend sechs bis sieben Windstärken, und je mehr sich die Front näherte, desto höher gingen die Böen. Wind und Welle kamen allerdings von hinten, weshalb das, mit angemessener Besegelung (halb eingerollte Genua) alles ganz entspannt und kontrolliert war. Allerdings machte die Rollerei den Alltag und das Schlafen zur Herausforderung.
Tags zuvor ist uns übrigens ein Malheurchen passiert, man könnte sagen: Mal wieder, Lernkurve null. Mit Wind von hinten bleibt das Deck normalerweise trocken. Wenn wir vorne in der Bugkajüte schlafen, öffnen wir die Luke einen Spalt, um nicht zu ersticken. Vor allem in tropischen Regionen ist das bitter nötig. So legte ich mich zur Freiwache nieder, und öffnete die Luke nur einen winzigen Spalt, weil der Seegang doch recht hoch war. Tja, und es dauerte nicht lange, bis ich von einer Salzwasserdusche geweckt wurde. Eine Welle hat dann doch den Weg an Deck gefunden, und die Bugkajüte geflutet. Das waren wahrscheinlich nur ein paar Liter, aber Matratzen, Bettdecke, Kopfkissen und ich selbst waren von jetzt auf gleich nass. Genau das ist uns schon häufiger passiert. Lessons Learned am A…
Naja, die Konsequenz war, dass die Bugkajüte trocknen musste, und dass der geeignetste Schlafplatz für die Freiwache tatsächlich der Salonfußboden war. Immerhin konnte man dort nicht von der Bank fallen. Die Achterkabine fiel als Schlafplatz zum einen durch den Geräuschpegel aus, zum anderen dadurch, dass das freie Bett das Luv-wärtige war, und man ständig im Lee-Segel, also dem „Raus-fall-Schutz“, hängen würde.
Die Front selbst sollte in der Nacht zum Samstag kommen, was natürlich blöd ist, weil man sie so nicht kommen sieht. So reduzierten wir für die Nacht das Vorsegel vorsichtshalber auf Handtuchgröße. Man weiß halt nie, mit was für Begleiterscheinungen die Kaltfront daherkommt. Irgendwann fing es dann an zu regnen, plötzlich regnete es wie aus Kübeln, und der Wind drehte von Südwest auf Nordwest. Das war sie also, die Front. Der Wind stabilisierte sich auf ca. 20 Knoten, und wohlwissentlich, dass es ab jetzt mit der Windstärke nur nach unten gehen würde, refften wir etwas aus und rauschten weiter nach Osten.
Der Nordwest-Wind blieb uns bis Montag früh (gestern) erhalten, bevor uns das Azorenhoch einhüllte und uns dazu veranlasste, den Motor zu starten. Die See beruhigte sich zusehends, und der Wind kommt kaum über zwei Windstärken hinaus. Momentan sieht es so aus, als würden wir bis zum Ziel motoren. Rechnerisch müsste das auch mit unseren Dieselvorräten passen.
Steffi genießt die ruhige See, den guten Schlaf und den entspannten Bordalltag nach der doch recht turbulenten letzten Woche, und ich bin latent gestresst. Ich motore nicht gerne, und es gefällt mir gar nicht, tagelang vom Motor abgängig zu sein. Im Vergleich zu den Segeln halte ich den Motor für ein anfälliges und ausfallträchtiges System. Das ist natürlich irrational, der Jockel ist immer noch recht neu, wird gut gepflegt und gewartet, und er wird, wenn er läuft, regelmäßig auf Leckagen oder Unregelmäßigkeiten kontrolliert. Insofern versuche auch ich mich zu entspannen, und den Rest dieser Atlantiküberquerung zu genießen.
Was unser leibliches Wohl angeht, sind wir übrigens immer noch bestens versorgt. Wir haben sogar noch ein paar Karotten und Gurken im Kühlschrank liegen, die nun nach drei Wochen immer noch astrein sind. Und wir haben noch reichlich Obst übrig. Gestern hatten wir endlich mal wieder Anglerglück, das erste Mal auf dieser Fahrt. Uns ging ein schöner Bonito an den Haken, eine kleine Thunfischart, der uns ein exzellentes Abendessen bescherte.
Langsam freuen wir uns beide aber tierisch aufs Ankommen, auf eine bitter nötige Dusche, frisch gewaschene Klamotten, ein Anleger-Bierchen und ein leckeres Abendessen in einem schönen Restaurant. Aber ein wenig müssen wir uns noch gedulden.
Christian
P.S.: Zwischen dem Schreiben und dem Hochladen dieses Beitrags haben wir übrigens wieder einen schönen Bonito verhaftet. Das Abendessen heute ist also auch gesichert. 🙂

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2 thoughts on “Still ruht die See

  1. Moin,

    willkommen zurück in Europa!

    Hab‘ eben gesehen, daß Ihr vor 2 Std. in Horta angekommen seid … bei hoffentlich etwas angenehmeren Tempraturen als aktuell bei uns (36° C).
    Motoren sehe ich genauso wie Christian, aber stunden- oder tagelang in Sichtweite des Ziels ‚rum zu dümpeln, nervt dann irgendwann noch mehr … insbesondere nach fast 3 Wochen auf See.

    1. Moin Jürgen,

      vielen Dank, und jawoll, wir sind angekommen! Unser Start hier war allerdings etwas holprig. Dafür sind die Temperaturen mit etwas mehr als 20 Grad sehr angenehm und definitiv besser als das, was ihr da gerade aushalten müsst.

      Und der treue Jockel hat auch anstandslos seine Pflicht getan. 🙂

      Liebe Grüße!

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