Ein launiger Geliebter

38°13.6’N, 049°14.8’W
Nun ist schon wieder eine gute Woche seit unserem letzten Lebenszeichen vergangen, und ja, wir sind immer noch da! Inzwischen haben wir das Bergfest gefeiert, und aktuell liegen zwischen unserer aktuellen Position und den Azoren noch etwas mehr als 1000sm. Heute ist unser 13. Tag auf See, und ich schätze, dass wir noch acht bis zehn weitere Tage benötigen werden. Unsere Überfahrt ist also in aller erster Linie: lang.
Die letzten Tage waren von eher wechselhaftem Wetter bestimmt. Teils rauschten wir mit sagenhafter Geschwindigkeit bei halbem Wind dahin, und teils dümpelten wir mit 2,5 Knoten vor uns hin. Immerhin war es vorwiegend freundlich, und die See ist dafür, dass wir so weit draußen sind, momentan sehr ruhig.
Trotz der wechselhaften Bedingungen haben wir ganz ordentlich Strecke gemacht. Das hätte ich beim Blick auf die Wetterprognosen so nicht erwartet. Wir müssen nämlich sehr beim Diesel sparen, können also nicht jede Flaute ausmotoren. Wir haben insgesamt 300l Diesel dabei, das ist gut für 100h Motorfahrt bei ca. 5kn. Man muss immer damit rechnen, dass die Azoren bei Ankunft in der Flaute liegen (tja, das Azorenhoch halt) und dass man ggf. die letzen 2 Tage motoren muss. Insofern dürfen wir mit dem kostbaren Diesel nicht zu verschwenderisch sein.
Aktuell haben wir seit Portsmouth bzw. Norfolk 20 Motorstunden auf der Uhr stehen. Die ersten fünf Stunden brauchten wir, um aus der Chesapeake Bay auf die offene See zu gelangen, und die weiteren 15h haben wir während der letzten zwei Wochen verbraucht, z.B. um die Batterien zu laden, um nachts bei Flaute Stabilität in ein wild rollendes Boot zu bekommen, oder um vor einem Gewitter zu fliehen. Noch haben wir also reichlich Reserve.
Ein Grund für das unerwartet gute Vorankommen letzte Woche ist der Golfstrom. Er hat uns immer mal wieder mit einem Booster von gut 2kn unterstützt. Der Golfstrom verläuft vor dem nordamerikanischen Kontinent entlang bis rüber nach Europa. Wer jedoch meint, dass da die gesamte Wassermasse gleichmäßig in Bewegung ist, der irrt. Tatsächlich ist er ein eher schmales, mäandrierendes Strömungsband, das ständig in Bewegung ist und an seinen Rändern Wirbel bildet. Die amerikanische Ozeanographie-Behörde NOAA erstellt regelmäßig Golfstrom-Karten auf Basis von Wassertemperaturbeobachtungen, die sehr aufschlussreich sind.
Wenn wir als Segler also die US-Ostküste verlassen, um einen östlichen oder nordöstlichen Kurs zu setzen, werden wir ihn irgendwann finden. Für unseren Kurs zu den Azoren kann man davon ausgehen, dass wir den Golfstrom einmal durchqueren und er dann nördlich von uns verläuft. So war es zunächst auch, am 2. oder 3. Tag kamen wir in den Genuss der Extra-Beschleunigung, fuhren dann aber auch recht schnell wieder heraus, da wir ja einen kleinen Bogen nach Süden fahren mussten.
Nun, wieder weiter nördlich haben wir ihn also wiedergefunden. Sobald wir uns seinen Rändern näherten, bemerkten wir größere Teppiche vom Saragossa-Seegras, ein deutlicher Indikator. Oft wird zusätzlich die See etwas kabbeliger, dann verändert sich natürlich allmählich die Geschwindigkeit über Grund, und wenn man erstmal drin ist, ist die Fußbodenheizung eingeschaltet. Der Temperaturanstieg ist wirklich krass. In kürzester Zeit geht die Temperatur um ca. 3°C hoch, und es fühlt sich gleich sommerlicher an. Wenn man nun das Glück hat, den Strom so getroffen zu haben, dass er schiebt, lässt der Geschwindigkeitsrausch nicht lange auf sich warten.
Wir versuchten, möglichst lange im Golfstrom zu verweilen, am Ende fuhren wir immer wieder mal rein und raus. Er mäandriert halt vor sich hin, und wir müssen natürlich auch schauen, welche Kurse wir sinnvoll segeln können.
Der Golfstrom ist allerdings auch ein launiger Geliebter. Wie wir alle in der Schule gelernt haben, ist er dafür verantwortlich, dass wir es in Nordeuropa so schön warm haben, während es auf der gleichen geographischen Breite auf der anderen Seite des Atlantiks deutlich kühler zugeht. Er transportiert also riesige Mengen an Energie. Und diese Energie macht natürlich auch Wetter, ganz besonders an den Grenzen des Stroms.
Für uns bedeutete das vor allem abends und nachts: Schauer und Gewitter. Tagsüber waren wir von bestem Wetter verwöhnt, und sobald es dunkel wurde und wir in die Nachtwache wechseln wollten, zog es zu, und überall um uns herum blitzte es. Die meiste Zeit über sahen wir auch nur Wetterleuchten in der Ferne, was trotzdem nicht gerade zu einer entspannten Nachtwache beitrug.
Eines Abends allerdings kamen wir in den zweifelhaften Genuss, ein riesiges Gewitter in direkter Nähe beobachten zu können. Wir saßen mit ca. 5sm Abstand quasi in der ersten Reihe und konnten Blitze beobachten, die echt atemberaubend waren und den ganzen Himmel ausfüllten. Von Land aus ein toller Anblick, aber von einem Segelboot auf See aus beobachtet echt beängstigend. Wir schalteten das Radar ein, um abschätzen zu können, wie es zieht. Die Schauer im Gewitter sind auf dem Schirm super zu erkennen. Es schien stationär zu sein, dennoch schmissen wir den Motor an, um den Abstand zu vergrößern. Wir passierten ein weiteres Gewitter, dessen Kante auf dem Radarschirm schnurgerade aussah. Und nun ratet mal: Wir hatten tatsächlich kurz zuvor den Golfstrom verlassen. Die Gewitter spielten sich scheinbar nur über dem warmen Golfstrom-Wasser ab.
Gewitter sind nun etwas, was wir auf See überhaupt nicht brauchen. Immerhin stellen wir hier den höchsten Punkt weit und breit dar. Und keiner weiß, was passiert, wenn ein Blitz einschlägt. Geht er einfach über das stehende Gut und dann an der nassen Bordwand entlang ins Wasser? Geht er über den Mast , das Funkgerät und die Bordelektrik? Geht er durch den Rumpf hindurch ins Wasser? Keiner weiß es.
Vor einiger Zeit habe ich mich einmal in das Thema Blitzschutz auf Yachten eingelesen. Zu dem Thema gibt es wahnsinnig viele Meinungen und Ideen. Einige Segler hängen Kabel oder Ketten in die Wanten ein, um den Blitz auf diese Art ins Wasser zu leiten. Dann gibt es wohl professionelle Erdungs-Systeme, die eine Kupferplatte am Rumpf nutzen, um den Blitz abzuleiten und dann gibt es Leute, die sagen, dass derartige Erdungssysteme mit ihren niedrigen Widerständen Blitze förmlich anziehen würden. Andere sagen, dass bei einem Blitz, der aus mehreren hundert (oder tausend?) Metern Höhe kommt, die letzten 15m Masthöhe im Prinzip gar keine Rolle spielen und dass ein Einschlag daher super unwahrscheinlich ist.
Weil wir genug andere Baustellen hatten, schloss ich mich der letzteren „Wird-schon-gut-gehen-Fraktion“ an. Ein explizites Erdungssystem haben wir nicht, und ich hoffe darauf, dass der Blitz über die Wanten und die nass-salzige Bordwand seinen Weg ins Wasser finden würde. Ein paar Maßnahmen ergreifen wir allerdings, wenn wir den Eindruck haben, dass sich ein Gewitter uns deutlich nähert. Wir lösen das Antennenkabel vom Funkgerät, um zu verhindern, dass der Blitz uns direkt die Bordelektrik zerlegt. Dann schalten wir (sofern wir segeln und der Windpilot steuert) die gesamte Bordelektrik aus. Zusätzlich räumen wir alle wichtigen Einzel-Geräte (Seenot-Funkbake (EPIRB), Iridium, Telefone, Tablets) in den Backofen. Hört sich komisch an? Ist es auch. Der Backofen soll wohl einen Faraday’schen Käfig darstellen und die empfindliche Elektronik vor dem Blitz abschirmen. Das machen tatsächlich viele Segler so. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass ein ausgeschaltetes Gerät, das nicht am Bordnetz hängt, Schaden nehmen könnte, aber better safe than sorry. So ist ein Dialog wie dieser bei uns an Bord also nicht ganz selten: „Wo ist denn schon wieder das Iridium-Telefon?“ – „Das ist noch im Backofen!“
Den Golfstrom mit seinen unangenehmen Begleiterscheinungen sollten wir mittlerweile safe verlassen haben. Jeder neue Wetter-Abruf ist dennoch ein wenig spannend, denn ganz im Gegensatz zum Segeln auf der Passat-Route kann es hier schon zu Überraschungen kommen. Seit Tagen deutet es sich schon an, dass sich Westwind einstellt, der uns auch ein paar Tage erhalten bleiben soll. Die letzten Wetter-Downloads boten aber noch ein besonderes Schmankerl. Bevor der Westwind endlich einsetzt, entsteht vor uns noch ein kleines Tiefdruckgebiet, kreisrund mit windstillem Kern, dass erhebliche Böen mit sich bringen soll. Was ist das denn? Das sieht ja aus wie… Aber hier?
Der nächste offizielle Seewetterbericht hat es dann bestätigt: es entsteht eine „Tropical Depression“, aus der im südlicheren Atlantik auch schnell ein Hurricane entstehen kann. Wir befinden uns mittlerweile außerhalb des Hurricane-Gebiets. Grenzen, die immer wieder genannt werden, und auch für Boots-Versicherungen relevant sind, sind z.B. die Hatteras-Linie und der 55. westliche Längengrad. So ist es selten, dass ein früher Hurricane nördlicher als bis zum Cape Hatteras zieht (aber nicht ausgeschlossen), und es ist selten, dass ein Hurricane , der über die Karibik gezogen ist und nun in einem Bogen nach Norden und Osten über dem Nordatlantik ausläuft, über den 55. Längengrad gelangt (aber nicht ausgeschlossen). Wir sind deutlich außerhalb beider Linien, insofern hat es uns schon gewundert, dass hier überhaupt noch tropische Depressionen entstehen. Diese hier löst sich auch schon nach einem Tag wieder auf. Wie auch immer, tropischen Depressionen gewähren wir Vorfahrt, also nahmen wir etwas Tempo raus (was in Ermangelung an Wind auch nicht allzu schwierig war), ließen das System passieren und segeln nun im versprochenen westlichen Wind weiter in Richtung der Azoren. Unser Wetter-Routing hat übrigens einen Kurs direkt durch das Auge des Systems empfohlen, aber wir sind ja nicht bescheuert…
Ansonsten haben wir eine insgesamt ruhige, aber sehr facettenreiche Überfahrt, die schon deutlich fordernder ist als das gemütliche Dahinschaukeln im Passat. Wir freuen uns auf unsere Ankunft, aber bis dahin müssen wir noch ein paar Seemeilen bewältigen.
Christian

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2 thoughts on “Ein launiger Geliebter

  1. Schön, wieder von Euch zu hören und schön, dass Donald und Elin noch nicht alle NOAA-Mitarbeiter rausgeworfen haben. Ein spannender Bericht über den Golfstrom, wie interessant hätte Geografie in der Schule sein können. Liebe Grüße von Armin und Anja

    1. Moin ihr beiden,

      da hat sich der Erdkunde Leistungskurs mal ausgezahlt, da war der Golfstrom tatsächlich ein großes Thema. Und das in Kombination mit mit dem, was wir jetzt durch die Segelei gelernt haben, ergibt den Klugschiss aus diesem Beitrag. 😄

      LG!

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