Kellerkinder im Wetter-Roulette

38° 23.2‘N, 061°,04.8’W
Eine Woche lang haben wir nun nichts von uns hören lassen und keine Sorge, wir sind immer noch da! Inzwischen haben wir knapp 730sm der direkten Strecke von der Chesapeake Bay zu den Azoren absolviert, 1600sm liegen in etwa noch vor uns, abhängig davon, welchen Hafen wir anlaufen werden.
Aber wie war‘s bis jetzt? Fangen wir einmal von vorne an. Die allererste Frage, die sich stellt, wenn man so eine Ozeanpassage angeht ist: Wann fahre ich überhaupt los? Die Suche nach einem geeigneten Wetterfenster ist super-schwierig und je mehr Informationen man vorliegen hat, desto schwieriger wird es. Auf welche Daten greifen wir in unseren Überlegungen zurück? Klar, Wind und Böen. Vielleicht noch der CAPE-Wert als Maß für die Gewitterneigung. Bewölkung, Niederschlag, Strömungen? Auf welches Wettermodell vertrauen wir? Wie weit in die Zukunft können wir schauen, und ab wann schauen wir nur noch in die Glaskugel?
Wir haben uns zur Regel gemacht, nicht weiter als eine Woche in die Zukunft zu blicken. Für drei bis vier Tage sind die Prognosen recht zuverlässig, und die Tage darüber hinaus geben einen mittlerweile gar nicht mehr so schlechten Einblick in das, was noch kommen könnte. Alles, was über eine Woche in der Zukunft liegt, ist so unsicher, dass man für seinen Seelenfrieden besser gar nicht rein schaut. Schon oft genug haben wir in den Modellen epische Stürme entstehen sehen, die mit dem nächsten Modell-Update wieder verschwunden waren.
Die West-Ost-Atlantiküberquerung ist, was das Wetter angeht, wesentlich anspruchsvoller als die in der Passatroute. Wenn man sich, wie wir, für die Route auf den mittleren Breiten zu den Azoren entscheidet, besteht die Kunst darin, sich in dem Bereich der westlichen Winde zu halten, die zwischen den Hochdruckgebieten um Bermuda und die Azoren und den nordatlantischen Tiefdruckgebieten verlaufen. Diese sind natürlich nicht statisch, sondern verlagern sich, verstärken sich, mildern sich ab. So kann es passieren, dass wir, wenn wir zu weit südlich fahren, in der Flaute der Hochdruckgebiete einparken, oder, wenn wir zu weit nördlich fahren, fiese Fronten der Tiefdruckgebiete abbekommen.
Für diese Überfahrt haben wir uns, um die Flut an Wetterdaten besser auswerten zu können, ein Wetter-Routing-Abo (drei Monate für ca. 100€) gegönnt. Letztes Mal waren wir irgendwie entspannter, da kamen wir auch ohne solchen Schnickschnack ans Ziel. Tja, wir werden auch älter. Das coole an diesem Routing-Service ist, dass er sechs verschiedene Wettermodelle auswertet und auf Basis dessen Routenvorschläge macht. Das geht zum einen für die Planung der Abfahrt (wie könnte die Route aussehen, wenn wir jetzt losfahren, in 12h, in 24h usw.) als auch ab sofort ab der aktuellen Position nach den verschiedenen Modellen. Die Routenvorschläge kann man sich dann graphisch oder tabellarisch anzeigen lassen, und man erhält einen recht detaillierten Einblick darüber, wie die Überfahrt in den folgenden Tagen aussehen könnte. Und das Beste ist: Es kommt eine App mit, die direkt mit unserem Iridium GO kommuniziert. Wir können das Routing also auch auf See nutzen.
Das Wetterfenster, für das wir uns letztendlich entschieden, war auch soweit ok, und hatte vor allem im Vergleich zu späteren Abfahrten die Nase vorn (weniger Schwachwind und weniger stürmische Böen). Ganz ideal war es nicht, denn es deutete sich schon an, dass wir einen Bogen nach Süden fahren müssten, um nicht nach drei Tagen in einer Flaute oder gar im Gegenwind zu sitzen. Wir wollten nicht noch eine Woche länger verdödeln, außerdem läuft sich die atlantische Hurricane-Saison allmählich warm. Also ging das letzten Donnerstag los!
Zum Abend hin verließen wir die Chesapeake Bay, zogen die Segel hoch und fuhren bei bestem Wetter in die erste Nacht unserer Atlantiküberquerung. Auch am zweiten Tag ging es entspannt weiter, wir machten gut Strecke und konnten in der Ferne einen Flugzeugträger beobachten, auf dem Jets und Helikopter starteten und landeten. Ein Navy-Helikopter drehte sogar ein paar Runden um die Krassy, wahrscheinlich um zu entscheiden, ob wir eine zu neutralisierende Gefahr darstellen würden. Taten wir wohl nicht, wir sind immer noch da!
Für die nächsten 48h war mehr, und vor allem böiger Wind vorhergesagt. In Erwartung dessen gingen wir vor Einbruch der Dunkelheit vorsichtshalber ins zweite Reff, um für alles gewappnet zu sein. Tja und die nächsten Tage rächte es sich etwas, dass wir vorwiegend nach dem Wind schauen, und nicht etwa nach dem Bewölkungsgrad oder der Regenwahrscheinlichkeit. Denn die vorhergesagten Böen waren Schauerböen! So prasselte ein Schauer nach dem anderen über uns hinweg. Der allererste davon kam so plötzlich, dass wir, noch ohne Ölzeug draußen sitzend, uns genötigt sahen, die Segelfläche noch etwas zu verkleinern. Fünf Minuten später waren wir triefnass bis auf die Schlüpper und verrammelten uns unter Deck. So saßen wir da, alle Luken und der Niedergang geschlossen, und draußen ergoss sich ein epischer Schauer nach dem anderen. Alles war feucht, überall hingen unsere nassen Klamotten zum Trocknen, und die Luken konnten wir nur mal kurz zwischen den Schauern öffnen.
So ging das in etwa vier Tage lang. Der Windpilot machte einen guten Job, einige wenige Umbauten an der Besegelung konnten wir in Regenpausen machen, aber die meiste Zeit ließen wir die Krassy einfach laufen. Da der Wind nach wie vor sehr böig war, waren wir natürlich sparsam besegelt, weswegen wir die Tage nicht ganz die erhoffte Geschwindigkeit erreicht haben. Aber ständig zum Ein- und Ausreffen raus in den Regen und wieder neue Feuchtigkeit nach unten schleppen? Nein danke, dann lieber etwas langsamer.
Wir vertrieben uns die Zeit mit Podcasts und Hörbüchern, dank unserer ausgiebigen Einkäufe haben wir jede Menge frisches Essen an Bord, so dass wir auch ordentlich schlemmen konnten. Allerdings kam schon etwas das Gefühl auf, eingesperrt zu sein. Lockdown- und Homeoffie-Flashback.
In der Nacht auf Mittwoch klarte es endlich nachhaltig auf, und Mittwochmorgen konnten wir Kellerkinder endlich wieder raus an die frische Luft. Endlich wieder Atlantik-Segeln wie wir es eigentlich kennen. Und nun sind wir hier draußen, nachdem wir einen leicht U-förmigen Bogen gefahren sind, Bermuda liegt ca. 400sm südwestlich unserer aktuellen Position. Aktuell versuchen wir, den 39. Breitengrad zu erreichen, an dem wir dann erstmal einen östlichen Kurs einschlagen werden. Momentan ist aber unsere Geduld gefordert, der Wind schwächelt gerade etwas, und wir wollen nicht zu früh zu viel Diesel verbrennen. Heute Abend soll das wieder bergauf gehen.
Was das Wetter-Routing angeht, war es die letzte Woche auch sehr stabil und die verschiedenen Modelle waren sich weitgehend einig. Die Routenempfehlungen waren entsprechend fast identisch, und wir folgten den Empfehlungen auch weitgehend. Nun laufen die Routen allmählich auseinander, die Wetterlage hier scheint also noch etwas unklar zu sein, die Modelle kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wir werden sehen, was das für uns bedeutet. Einige Routenempfehlungen fahren eher direktere Kurse zu den Azoren, andere holen weit nach Norden aus. Möglicherweise baut sich hier eine Hochdruckzone auf, die uns zu einem weiteren kleinen Umweg, diesmal nach Norden zwingen könnte. Wetter-Roulette also.
Rein rechnerisch, auf direktem Kurs und mit einem Schnitt von 5 Knoten, könnten wie die Azoren in 13-14 Tagen erreichen. Das Routing schätzt allerdings aktuell 15-18 Tage, allerdings ohne Motoren. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Es dauert so lange wie es dauert, und momentan lässt es sich hier auch gut aushalten.
Christian

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