Kinder-Tetris im Rum-Rausch

St. George, Grenada

Nach dem schlammigen Abenteuer von Mount Qua Qua ließen wir es am Mittwoch wieder einmal ruhiger angehen. Wir starteten entspannt in den Tag und beschäftigten uns einfach mal mit Dingen, auf die wir Lust hatten, die sich aber auch gut mit der Hitze vertragen.

So startete Steffi mit etwas Stoff, den sie sich am Vortag in der Stadt organisiert hatte, ein kleines Näh-Projekt und nähte sich ein schickes Kleid, das echt gut geworden ist – man könnte meinen, sie hat es mal gelernt, die alte Bekleidungstechnikerin. Ich hingegen buk mal wieder ein schönes Sauerteigbrot. Den Sauerteig hierfür hatte ich am Vorabend in weiser Voraussicht angesetzt. Es war vielleicht nicht die beste Idee, in der Mittagshitze den Backofen anzuheizen, vor allem, wenn Steffi unten sitzt und näht, aber hilft ja nüscht, das Ergebnis ist mal wieder toll geworden.

Sonst stand noch leichtes Krassy-Pflege- und Aufräum-Programm auf der Agenda, eine gefüllte Gasflasche wollte noch abgeholt und verzurrt werden, und das war es dann auch schon mit den produktiven Tätigkeiten. Am Nachmittag gönnten wir uns wieder einmal eine schöne Abkühlung im Pool (diesmal ohne Heldentaten), so dass wir uns pünktlich zum Sundowner sauber und erfrischt zum Grand Anse Beach aufmachen konnten.

Wir schnappten uns wieder einen Bus, und juckelten in wenigen Minuten zum Strand runter, wo wir uns einen Rum Punch to go geben ließen, mit dem wir den Sonnenuntergang begießen wollten. Und huiuiui, der hatte es mal in sich. Vielleicht lag es an der Hitze, oder an der Tatsache, dass wir seit dem Frühstück nichts Richtiges mehr gegessen haben, oder einfach daran, dass wir weich geworden sind. Der Drink hat uns jedenfalls ordentlich die Schuhe ausgezogen. 

Als die Sonne dann komplett verschwunden war und uns die Dunkelheit umhüllte, suchten wir uns noch etwas zu essen. Vielleicht wäre die Reihenfolge erst Essen, dann Rum Punch besser gewesen, aber dann wäre es ja kein Sundowner mehr gewesen. Am Grand Anse Craft and Spice Market wurden wir fündig. Hier gibt es ein paar kleine Läden, die im Wesentlichen aus einer Bar und einem Grill bestehen. Man fragt eben nach, was sie denn zu Essen haben, und dann sucht man sich etwas aus. Für mich gab es gegrillten Marlin, für Steffi gegrilltes Hühnchen, mit einem schönen Mix aus den üblichen kreolischen Zutaten. Sehr lecker.

Die folgende Nacht war dann auch etwas durchwachsen. Wir hatten beide einen leicht dicken Kopf, und Steffi wurde so sehr von Hitze geplagt, dass sie sich mitten in der Nacht nach draußen verholt hat und kurzerhand im Cockpit schlief. Nichtdestotrotz sollte heute wieder Programm anstehen!

Wir haben uns vorgenommen, die andere Seite der Insel zu besuchen und dort die River Antoine Estate Rum Distillery aufzusuchen. So ging es direkt nach dem Frühstück per Bus zunächst nach St. George’s, und von dort aus einmal über die Insel nach Grenville im Osten. Die Busfahrt im super-vollen Bus (18 Passagiere plus Fahrer) dauert ca. 45 Minuten und verläuft wieder über den Grand Etang National Park, den wir am Dienstag ja besucht hatten (jetzt übrigens bei strahlendem Sonnenschein. Vielen Dank auch). Von Grenville aus ging es dann auf einer anderen Linie nach La Poterie im Nordosten. Nun trennten uns nur noch 20 Minuten Fußmarsch vom Ziel. 

Diese Seite der Insel präsentiert sich ganz anders als die Südöstliche Ecke um St. George’s, die wir mittlerweile ganz gut kennen. Hier ticken die Uhren noch anders. Überall sieht man Leute, die entspannt im Schatten sitzen oder liegen, und sich dem Lime hingeben. Touristen sind hier kaum zu sehen. Die Vegetation ist sehr satt. Hier stehen hohe Kokos-Palmen neben Bananen-Stauden und Brotfrucht- und Papaya-Bäumen, dazwischen huschen überall Hühner und Ziegen herum. Was interessant ist: Auf Ziegenprodukte, weder Milchprodukte noch Fleisch sind wir hier bisher nicht gestoßen. Die Ziegenhaltung scheint also rein für den Eigenbedarf zu sein.

Als wir uns der Destillerie näherten, liefen wir an Zuckerrohrfeldern entlang. Wie wir später lernen sollten, betreibt die Destillerie selbst wohl Zuckerrohranbau auf einer Fläche von ca. 160 Hektar. Das reicht aber nicht aus, um den Bedarf zu decken, weswegen die Destillerie von örtlichen Bauern weiteres Zuckerrohr zukauft.

Wir wurden sehr freundlich empfangen und erhielten den Hinweis, dass die Arbeiter derzeit Mittag machen. Sofern wir etwas Zeit hätten, würde es sich lohnen zu warten, um mehr von der Rum-Herstellung sehen zu können. Limen können wir auch, also besorgten wir uns neben den Tickets für die Führung (ca. 5€ pro Person, kleiner Kontrast zu Barbados) ein paar Kaltgetränke und machten es uns im Schatten gemütlich. In der Zwischenzeit kamen immer mal wieder einzelne Taxis mit ein paar anderen Touristen an, die schnell die Führung absolvierten und wieder abdampften, und nach einer knappen Dreiviertelstunde des Wartens wurden wir von unserem Guide eingesammelt.

Er stellte direkt klar, dass wir wirklich alles fotografieren dürften, und dass ihn die Führung umso mehr herausfordern würde, je mehr Fragen wir stellten. Can do!

Die Destillerie wurde 1785 von Franzosen gegründet, und der Rum, der hier entsteht, wird genau so hergestellt, wie der bekannte Rhum Agricole von den französischen Antillen. Die Basis des Rums ist also frisch gepresster Zuckerrohrsaft, und nicht Melasse wie bei anderen, niederwertigeren Rums. Das Zuckerrohr hierfür wird ganzjährig geerntet. Die Jahreszeit der Ernte hat wohl tatsächlich einen großen Einfluss auf den Geschmack des Rums. Während der Regenzeit wächst das Zuckerrohr schneller und hat einen höheren Flüssigkeits-Gehalt als während der Trockenzeit. Der gepresste Saft ist in der Trockenzeit daher intensiver und konzentrierter als in der Regenzeit, in der er dünner, und wässriger ist. Und der fertige Rum hat in der Trockenzeit tatsächlich auch einen höheren Alkoholgehalt als in der Regenzeit.

Das Zuckerrohr wird von Hand geerntet und mit Macheten in Abschnitte von ca. 50ca. zerkleinert. Dann geht es in die Presse, das Herz-Stück der Unternehmung. Und die ist ein ganz besonderes Highlight. Die Presse stammt nämlich auch noch aus der Zeit der Gründung und wird von einer Wassermühle angetrieben (Daher auch der Name Rivers Rum). Die Wassermühle und Presse kommen wohl beide aus England, wurden in Einzelteilen verschifft und dann auf Grenada wieder zusammengesetzt. So treibt das Mühlenrad direkt die gusseisernen Walzen der Presse an, sowie zuschaltbar ein Förderband, welches das Zuckerrohr zur Presse befördert. Sobald ein Mitarbeiter eine Schleuse am Flusslauf öffnet und das Mühlenrad genug Wasser abbekommt, beginnt der Prozess. Zwei Mitarbeiter stellen sicher, dass das gesamte Zuckerrohr durch die Presse geht, falls nötig auch in mehreren Iterationen. Der Zuckerrohrsaft läuft nach unten in ein Rohrsystem ab, übrig bleiben die ausgepressten Zuckerrohre, die in der Sonne getrocknet werden und dann als Brennstoff für die Konzentrations-Kessel und als Dünger genutzt werden.

Der gewonnene Zuckerrohrsaft fließt in einen ersten Kessel. Hier wird auch seine Menge erfasst. Die Bauern, die den Betrieb beliefern, werden nämlich nicht nach Gewicht des Zuckerrohrs bezahlt, sondern nach Menge des Safts. Nun wandert der Zuckerrohrsaft manuell mittels riesiger Kellen durch fünf Kessel, in denen er immer weiter erhitzt wird. Hier verdampft ein Teil der Flüssigkeit, und der Saft wird konzentrierter. In der Trocken-Saison werden so aus 30 Litern Saft 10 Liter Konzentrat, in der Regenzeit werden wohl aus 40 Litern Saft 10 Liter Konzentrat erzeugt. Gegebenenfalls wird an dieser Stelle in der Regenzeit Melasse hinzugefügt, damit die Lösung den für die Fermentation nötigen Zuckergehalt aufweist.

Das Konzentrat wird dann in Fermentationskessel geleitet, die mittlerweile aus Beton sind, nicht mehr aus Holz wie früher. Dort fermentiert der Saft acht Tage vor sich hin, ohne, dass noch etwas hinzugegeben wird. Einzig die Hefen aus der Luft und aus dem Saft spielen hier eine Rolle. Sie verwandeln den Zucker in Alkohol. Am Ende der Fermentation hat die Lösung einen Alkoholgehalt von rund 14%. Nun wird destilliert. In einem großen Kessel wird der Saft erhitzt, der Alkohol mit einem geringeren Siedepunkt verdampft, steigt auf, und wird durch einen ausgeklügelten Wärmetauscher geleitet, sodass er letztendlich kondensiert und abläuft. Der Trester, der bei der Destillation zurückbleibt wird wohl als Tierfutter oder Dünger weiterverwendet.

Nach der Destillation wird der Alkoholgehalt gemessen. Liegt er unter 75%, geht es in eine zweite Iteration. Normalerweise reichen wohl zwei Iterationen aus. Liegt der Alkoholgehalt bei mindestens 75%, ist der Rum fertig und wird abgefüllt.

Ja, richtig gelesen. Der fertige Rum hat tatsächlich mindestens 75 Umdrehungen, meistens sogar deutlich mehr! Die Destillerie verkauft den Rum nur für den Eigenbedarf der Insel. Für Gäste und Touristen haben sie jedoch auch eine „schwächere“ Version ihres Rums, der so lange mit Wasser verdünnt wird, bis er 69% Alkohol enthält. Das ist wohl für den Zoll eine magische Grenze. Spirituosen mit mehr als 70% dürfen wohl nicht ein- oder ausgeführt werden.

Die Führung endete mit einer Verkostung beider Rum-Sorten. Und wir waren erstaunt, wie viel Geschmack der Rum trotz des hohen Alkoholgehalts hatte. Man trinkt den Rum hier wohl tatsächlich pur, neben einem Glas Wasser. Nur die harten kommen in den Garten. Wir nahmen natürlich gerne eine Flasche des „schwächeren“ Rums mit. Ob wir ihn aber tatsächlich pur trinken werden, wird sich noch zeigen. Zumindest als Ti Punch, also mit Limette und Rohrzucker, wie ihn die Franzosen trinken, kann ich ihn mir sehr gut vorstellen.

Mit einem warmen Gefühl im Hals machten wir uns auf den Weg zurück. Und unser Bus nach Grenville war diesmal ein Volltreffer: Der Bad Bus. Die Busse haben hier häufig Namen, die sie von ihren Fahrern bzw. Besitzern verpasst bekommen. Der Bad Bus war ein echtes Prachtexemplar. Sichtbar schon ein paar Tage älter, dafür aber mit kompetenter Musik-Anlage und einem Fahrer mit Dreadlocks, riesiger Sonnenbrille und behangen mit Klunkern wie ein 90er Jahre Musikvideo-Gangster. Die Musik wurde voll aufgedreht, und der Fahrstil war rasant. Die Tankuhr pendelte zwischen Min und Max lustig hin- und her, die Ölkontrolllampe leuchtete dauerhaft und im Stillstand ließ sich der Motor nur durch ständiges Gas-Geben davor abhalten, stotternd auszugehen. Lustigerweise war im Ort wohl gerade Schulschluss. An der ersten Haltestelle wartete also eine Horde Grundschul-Kinder in niedlichen Schuluniformen, die alle gleichzeitig mitwollten. Für den Ranwinker kein Problem, er war ein wahrer Meister im Kinder-Tetris. Hier passt noch eins zwischen, dort noch eins auf dem Schoß, und noch eins kopfüber dorthin, und voll war der Bus (deutlich mehr als 19 Personen). Bei jeder Haltestelle wurde wieder neu gewürfelt. Schon witzig, wenn man sich jetzt deutsche Eltern vorstellt, die ihre Kinder lieber im SUV bis ins Klassenzimmer fahren, bevor sie ihnen eine Busfahrt in TÜV-geprüften Bussen, gefahren von Profi-Fahrern mit Personenbeförderungs-Schein zumuten. Hier sind alle, Eltern wie Kinder, da wohl ein ganzes Stück entspannter. Alle (uns eingenommen) hatten jedenfalls jede Menge Spaß im Bad Bus.

In Grenville angekommen, drehten wir noch eine Runde durch den Ort. Ich freute mich wie ein Schneekönig, dass ich bei einer Straßen-Verkäuferin endlich wieder eine Soursob gefunden habe, eine meiner Lieblings-Obst-Sorten hier. Ganz ähnlich wie die Cherimoya, die man gelegentlich auch in deutschen Supermärkten finden kann, hat sie ein weiches weißes Fruchtfleisch mit schwarzen Kernen drin, die man wegen Vergiftungsgefahr tunlichst nicht mitessen soll. Der Geschmack ist schwer zu beschreiben. Säuerlich-würzig würde ich sagen. Sehr lecker jedenfalls. Nach einem verspäteten Mittagsessen in einer Art Kantine fuhren wir wieder zurück zur Krassy, wo wir jetzt den Tag entspannt und bloggend (und sicher noch mit einem Rum) ausklingen lassen.

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