Oranjestad, Sint Eustatius
Montag früh hieß es Abschied nehmen von St. Kitts und Nevis, denn wir machten uns auf den Weg zu den nächsten Inseln, die wir nun erkunden wollten und auf die wir uns schon länger freuten: Die beiden winzigen niederländischen Karibik-Inseln Sint Eustatius und Saba. Die niederländischen Inseln haben einen etwas anderen Status als die französischen Karibik-Inseln. So gehören die französischen Inseln tatsächlich zur EU (als sogenannte Regionen in äußerster Randlage (wie zum Beispiel auch die Kanaren)). Für uns Reisende hat das zum Beispiel den Vorteil, dass wir in Euro zahlen können und dass wir, was den Mobilfunk angeht, in den Genuss des EU-Roamings kommen. Telefonieren und Internet also wie zu Hause oder eben im EU-Ausland.
Die niederländischen Inseln hingegen sind etwas loser an die Niederlande gekoppelt und haben auch eine andere Beziehung zur EU. Die ehemaligen Kolonialgebiete der Niederlande in der Karibik firmierten tatsächlich noch bis 1954 als Kolonien, bis per „Statut für das Königreich der Niederlanden“ die niederländischen Antillen ausgerufen wurden. Sechs Inseln (ABC-Inseln (Aruba, Bonaire, Curacao), sowie Sint Maarten, Sint Eustatius und Saba) wurden so in ein eigenständiges Land innerhalb des Königreichs der Niederlanden eingegliedert. Ihre Bewohner erhielten dadurch das volle Wahlrecht, und das karibische Gebiet erlangte mehr Selbstbestimmungsrechte. Suriname wurde damals vollständig in seine Selbstständigkeit entlassen.
Der Grad an Souveränität der niederländischen Antillen war aber wohl doch etwas begrenzt, weswegen zuerst Aruba (1986), und später auch Curacao und Sint Maarten (2010) den Bund verließen und somit separate eigenständige Länder, immer noch innerhalb des Königreich der Niederlanden darstellten. Dieser Schritt gab den Ländern regional wohl mehr Autonomie, lediglich in übergeordneten Belangen (z.B. Verteidigung und Außenpolitik) profitieren sie vom Bund mit der großen Nation.
Der Zusammenschluss der Niederländischen Antillen wurde aufgegeben, und die verbleibenden Inseln Bonaire, Sint Eustatius und Saba werden fortan zu besondere Gemeinden Teil der Niederlande selbst. Das Königreich der Niederlanden besteht nun also aus vier Ländern: Der Niederlande, Aruba, Curacao und Sint Maarten.
Für uns Reisende bedeutet das, dass wir es bei der Ein- und Ausreise in Sint Eustatius und Saba mit der „Koninklijke Marechaussee“, einer Art Gendarmerie zuständig für den Schutz der Grenzen, und dem niederländischen Zoll zu tun bekommen, während zum Beispiel auf Sint Maarten eine eigene Polizeibehörde für die Ein- und Ausreise sowie Zollangelegenheiten zuständig ist.
Was die EU angeht, gelten die niederländischen Inseln als überseeische Länder und Gebiete der EU (wie im Übrigen auch Grönland). Diese sind nicht Teil der EU, unterhalten als Teil von EU-Ländern aber Sonderbeziehungen zur EU. So gilt dort nicht das volle EU-Recht, allerdings sind ihre Bürger EU-Bürger. Das bedeutet für uns zum Beispiel: Kein EU-Roaming, und gezahlt wird in US Dollar.
Ganz schön kompliziert dieser kleine Exkurs, und ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit und 100%ige Korrektheit.
Wir klarierten also Montag früh in St. Kitts aus, und hatten eine kleine Motor-Etappe vor uns, denn derzeit schwächelt der Passat wieder einmal. Macht aber nichts, die Distanzen sind kurz, und gerade für diese beiden Inseln ist es sehr vorteilhaft, wenn das Wetter und vor allem der Seegang ruhig ist, denn die Ankerplätze dort können sonst sehr unruhig bis untragbar werden.
Nach gerade einmal vier Stunden fiel der Anker dann auch schon in das glasklare Wasser der Bucht von Oranjestad, dem Hauptort der Insel. Sint Eustatius (oder Statia) hat eine Fläche von 21 Quadratkilometern, und es leben hier gerade einmal rund 3100 Menschen. Die Insel ist von außen betrachtet recht schroff und felsig, und über ihr thront ein erloschener Vulkan, der Quill.




Im Norden der Insel befindet sich ein sehr großes Öl-Terminal, das wohl in der Lage ist, die weltweit größten Öltanker abzufertigen. Auf einem Hochplateau an Land stehen Tanks, in denen bis zu 14 Millionen Barrel Rohöl oder verarbeitete Ölprodukte gespeichert werden können. Der Ölhafen von Sint Eustatius zählt zu den größten Häfen in der Karibik. Wir vermuten, dass dort Öl von Großtankern zwischengespeichert wird und dann von kleineren Tankern weiterverteilt wird. Eine Art Öl-Hub in der Karibik. Das Ölterminal ist neben der öffentlichen Verwaltung natürlich einer der größten Arbeitgeber auf der Insel und damit von großer Wichtigkeit für die Bewohner.
Als wir 2018 unterwegs waren, sind wir an Sint Eustatius vorbeigefahren, und haben gedacht, wohl nicht allzu viel zu verpassen. Die vielen Öltanker auf Reede und das industrielle Hafen-Flair sah aus der Entfernung nicht sehr einladend aus. Aber weit gefehlt!
Die Insel hat einen unvergleichlichen Charme, der uns direkt in seinen Bann gezogen hat. Nach unserer Ankunft klarierten wir zuallererst bei den Behörden ein, und machten uns dann direkt auf den Weg nach Oranjestad. Der Ort liegt erhöht auf einem Plateau, das zunächst über einen schmalen Fußweg erklommen werden möchte. Und Oranjestad ist tatsächlich anders. Der europäische Einfluss ist unverkennbar. Die häufig kopfsteingepflasterten Straßen sind gesäumt von gepflegten teils gemauerten Häuschen, Grundstücke sind durch Mäuerchen und Zäune abgetrennt, und insgesamt ist der kleine Ort sehr sauber und gepflegt. Erst wenn man sich etwas weiter aus dem Zentrum entfernt, wird die Bebauung wieder karibischer bzw. so, wie wir sie von den anderen Inseln kennen.












Eine alte Befestigungsanlage, Fort Oranje, thront über dem Hafen und bietet einen schönen Ausblick auf den Ankerplatz. Der große Hafen auf Sint Eustatius ist übrigens kein Zufall. Während der Meeresboden bei den meisten Inseln recht schnell sehr tief abfällt, befindet sich westlich vor Sint Eustatius ein großes Plateau mit Wassertiefen bis ca. 30m. Ein perfekter Ankergrund.




Tatsächlich war Statia in der Vergangenheit (Mitte des 18. Jahrhunderts) der Handelshafen in der Karibik schlechthin. Hier wurden Waren aus aller Welt umgeschlagen, bis zu 300 Schiffe konnten hier gleichzeitig vor Anker liegen. Handel, Schmuggelei und leider auch der Sklavenhandel florierten, und bescherten den damals rund 8000 Einwohnern des „golden Rock“ einen enormen Reichtum.
Laut unserem Revierführer besuchte im Jahre 1776 wohl die Andrew Doria Sint Eustatius, um Waffen und Munition für die amerikanische Revolution zu kaufen. Der Kapitän des Schiffes feuerte einen Salut, der vom Insel-Gouverneur prompt erwidert wurde. Da das Schiff unter der Flagge der amerikanischen Kolonien unterwegs war (und nicht etwa unter der britischen), gilt der beantwortete Salut als erste offizielle Anerkennung der amerikanischen Unabhängigkeit. Die Briten waren natürlich not amused. Wir vermuten, dass das ganze viel weniger politisch war als beschrieben. Das Schiff hat gegrüßt, und irgendein Dulli hat halt zurück gegrüßt, weil man das eben so macht. Wer weiß, ob die Flagge auf die Entfernung überhaupt erkennbar gewesen ist
Naja, die Briten fanden es trotzdem nicht geil, dass Sint Eustatius Waffen an die Rebellen verkauft hat, und so kam es zum Krieg zwischen England und den Niederlanden. Admiral Rodney wurde geschickt, um Statia einzunehmen, und schnell war die Kapitulation besiegelt. Er sackte sich die Reichtümer der Insel wohl eher illegal als legal ein, und versteigerte alles zugunsten seiner selbst und seiner Crew.
Dennoch wurde Ende des 18. Jahrhunderts Sint Eustatius wieder niederländisch und der Handel florierte wieder, aber im nächsten Jahrhundert wurde mit dem Ende der globalen Kolonialherrschaften allmählich der Untergang Statias als Handelszentrum besiegelt. Geblieben ist die kleine gemütliche und freundliche Insel, die wir heute vorfinden.
Für den Dienstag haben wir uns eine Wanderung vorgenommen. Auf Sint Eustatius gibt es eine ganze Reihe schöner und sehr gut gepflegter Wanderwege, die meisten rund um den Vulkan. Der Quill ist auch ein echter Bilderbuch-Vulkan. Der Krater ist sehr deutlich zu erkennen, und es gibt Wanderwege, die um den Vulkan herum führen, hoch zum Kraterrand oder sogar hinein in den Krater.
Ich wollte schon immer mal an einem Kraterrand stehen, und so entschieden wir uns dafür zunächst einmal dort hoch zu gehen, und dann entweder in den Krater hinein abzusteigen oder am Kraterrand entlang zu einem Aussichtspunkt zu wandern. Steffi, die ja nicht gerade ein Fan des Bergauf-Wanderns ist, war sich nicht sicher, ob das so eine gute Idee sein würde.
Der Wecker klingelte bereits um sieben, um nicht wieder in der Mittagshitze den Berg hochkraxeln zu müssen. Mit viel Wasser und einem Snack bepackt machten wir uns auf den Weg zum Einstieg in den Trail. Das allein war schon eine Wanderung für sich. So brauchten wir bereits eine Stunde, um vom Meeresspiegel zum in knapp 200m Höhe gelegenen Startpunkt unserer Wanderung zu gelangen.



Von dort an ging es weiter bergauf, Gott sei dank durch einen Wald, der allmählich dichter wurde und uns immer mehr Schatten spendierte. Im Gegensatz zu der Wanderung auf Nevis war dieser Wald eher trocken. Der Aufstieg befindet sich an der windabgewandten Seite des Berges, wo einfach weniger Niederschlag fällt. So erinnerte der Weg hoch doch eher an europäische Gefilde als an karibische, dafür war er aber überhaupt nicht matschig oder rutschig.








So arbeiteten wir uns hoch zum Kraterrand auf ungefähr 400m Höhe, und freuten uns wie Schneekönige über die Heldentat. Nach kurzer Überlegung beschlossen wir, nicht in den Krater abzusteigen, sondern lieber noch ein paar Meter hochzukraxeln, um von oben einen Blick in den Krater werfen zu können. So ging das noch einmal gut 50-100m hoch, diesmal einen supersteilen Pfad lang, an dem stellenweise Seile angebracht waren, um beim Aufstieg zu helfen. Die Belohnung für die Plackerei war ein wirklich spektakulärer Ausblick auf die Insel, die Nachbarinseln und natürlich den Krater.







Nach einer ausgiebigen Mittagspause machten wir uns auf den Rückweg, der dann erstaunlich leichtfüßig über die Bühne ging. Unten am Hafen belohnten wir uns dann noch mit einem schönen fettigen Essen und danach ging’s zurück zur Krassy.
Allerdings war es gerade mal 14 Uhr, noch reichlich Zeit für eine ausgedehnte Schnorchel-Runde durch den Ankerplatz. Zum Land hin stehen die Überbleibsel von ein paar alten Mauern, und es gibt felsigere Abschnitte. Hier treiben sich allerlei bunte Fische und natürlich Schildkröten rum, wir sahen sogar einen kleinen Kraken, der sich allerdings schnell in eine Felsspalte verzog. Das war schon eines der besten Schnorchel-Erlebnisse auf dieser Tour, aber es ist immer schwierig, das fotographisch vernünftig festzuhalten.



Den Abend verbrachten wir mit Podcasts und Spielen auf der Krassy, wir hatten nun wirklich genug Bewegung abbekommen. Zum Glück geht das morgen für uns weiter zur nächsten Insel, da können sich die müden Knochen mal wieder etwas ausruhen.