Die letzten Tage auf dem ICW waren recht ereignislos. Der Motor lief die meiste Zeit, zum Segeln war entweder zu wenig Wind oder er kam direkt von vorne. Wir machten einen Ankerstopp für die Nacht im Alligator River, wo wir abends von hunderten Fliegen und Mücken heimgesucht wurden, und einen weiteren Zwischenstopp in Coinjock an dem sehr schönen und gemütlichen privaten Anleger eines Rentner-Päärchens, das uns mit selbstgebackenen Muffins verwöhnte. Die letzte Etappe führte uns dann von Coinjock nach Norfolk.






Schon am Abend zuvor ist uns aufgefallen, dass es außergewöhnlich frisch wurde. Der nächste Morgen verhieß auch nichts Gutes, Regen prasselte an Deck, so dass wir spontan beschlossen, noch etwas im Bett zu bleiben und später zu starten. Als es dann losging, hatten wir klassisches Nordsee-Herbst-Wetter. Es war also seit England mal wieder Ölzeug angesagt. In Böen bis zu 27kn konnte dann doch stellenweise etwas gesegelt werden, was auch echt Spaß gemacht hat – für mich ein Flashback an meine allerersten Segelsaisonen in Holland bei episch schlechtem Wetter.
Tatsächlich liegt hier gerade eine Wetterlage vor, die für diese Jahreszeit sehr ungewöhnlich ist: Ein Nor‘easter. Das ist, wie der Name sagt, ein stürmischer Nordostwind, der kalte Polarluft heran schaufelt. Der Nor‘easter ist hier eine klassische Winter-Wetterlage, die auch oft Schnee mitbringt. Der bleibt uns Gott sei Dank erspart, aber die Nachttemperaturen fallen bis auf 12°C ab, und tagsüber steigen die Temperaturen nur knapp über 20°C. Wir wärmeverwöhnten Karibiksegler haben also wieder lange Jeans und Pullis ganz tief aus dem Kleiderschrank kramen müssen. Das ist aber ehrlich gesagt mal eine willkommene Abwechslung, wenn man nicht ständig am Schwitzen ist. Montag ist Memorial Day, und das Memorial Day Weekend ist in den USA so etwas wie der inoffizielle Sommeranfang. Der muss diesmal ein paar Tage warten, aber zur Mitte der nächsten Woche gehen die Temperaturen wohl wieder hoch.
Je mehr wir uns Norfolk näherten, desto größer wurde die Dichte an Brücken, die wir passieren mussten. Bisher hatten wir nur eine bewegliche Brücke, die für uns geöffnet werden musste, nun kam noch eine ganze Reihe dazu. Einige öffnen zu festen Zeiten, andere nach Bedarf. Eine Brückenwärterin verschob die Öffnung für uns sogar um ein paar Minuten, weil wir es nicht ganz pünktlich zur Brücke geschafft hatten – sehr zuvorkommend. Wir mussten noch eine Schleuse passieren, was im Gegensatz zu dem Chaos und dem „ich-zuerst-Gehabe“ am Nord-Ostsee-Kanal oder in Holland super entspannt und gesittet ablief.






Die letzte Brücke sollte noch einmal richtig nerven. Wir hatten schon gelesen, dass sie zur Rush Hour (halb vier bis halb sechs) nicht öffnen würde, und wir waren um halb fünf zusammen mit zwei anderen Booten da. Der freundliche Brückenwärter sicherte uns zu, die Brücke direkt um halb sechs zu öffnen, sofern die daneben liegende Eisenbahnbrücke nicht geschlossen ist. Hier ist es tatsächlich so, dass viele Eisenbahnbrücken offen bleiben, und nur dann geschlossen werden, wenn ein Zug kommt. Naja, die USA sind eben nicht gerade ein Bahnfahrer-Land. Ausgerechnet jetzt schloss sich natürlich die Eisenbahnbrücke, weil ein Kohle-Zug erwartet wurde. Der kam ganz in deutscher Eisenbahner-Tradition verspätet und war dann auch noch endlos lang. Nach gut 90-minütiger Wartezeit, die wir dümpelnd vor der Brücke verbrachten (einen Anleger zum Warten gibt es nicht), durfte es dann endlich weiter gehen und eine gute halbe Stunde später erreichten wir endlich unsere Marina.
So haben wir nach insgesamt vier Tagen und ungefähr 180sm auf dem Intracoastal Waterway gestern Norfolk in Virginia erreicht. Genau genommen liegen wir nun in Portsmouth, auf der anderen Seite des Elizabeth River in einer Marina, in der wir etwas länger bleiben werden.
Marinas in den USA sind teuer – insbesondere für Boote auf der Durchreise, die nur kurz bleiben. In den günstigsten Marinas sind 2 bis 2,50 Dollar pro Fuß fällig, für die Krassy also schlappe 70 bis 90 Dollar pro Nacht. Für längere Aufenthalte bieten viele Marinas einen Monatspreis an, der dann insgesamt deutlich günstiger ist. So einen Monatstarif haben wir nun gebucht, ab einem Aufenthalt von 9 Nächten lohnt er sich für uns. Von hier aus wollen wir ein paar Ausflüge machen, hier wollen wir uns und die Krassy auf die Rückfahrt Richtung Azoren vorbereiten und von hier werden wir dann irgendwann im Juni starten.
Nun liegen wir schon zwei Nächte in der Marina. Gestern stand mal wieder Hausarbeit an. Die Krassy brauchte nach über vier Wochen Ankerleben im Wasserspar-Modus dringend eine Grundreinigung, und wir hatten einen riesigen Berg Wäsche zu bewältigen. Im Wasserspar-Modus wird ja auch nur mit Salzwasser gespült und geduscht. Über die Zeit ist das Salz überall, und alles fühlt sich irgendwie klamm an. Jetzt ist es echt eine Wohltat, frische Klamotten zu tragen, in einem frischen Bett zu schlafen, frische Handtücher zu benutzen usw. Nach getaner Arbeit drehten wir noch eine Runde durch Portsmouth, um uns einen ersten Eindruck zu verschaffen.



Wenn es etwas gibt, wofür Norfolk steht, dann ist es die US Navy. Norfolk beheimatet nämlich den wohl größten Marine-Stützpunkt der Welt, hier liegt ein großer Teil der amerikanischen Atlantik-Flotte. Bereits auf dem Weg über den ICW in die Stadt wurde das deutlich. Hier reihen sich große Werftbetriebe aneinander, z.B. Norfolk Naval Shipyards, General Dynamics, BAE Systems. In allen Werften liegen Schiffe, die einem, wenn man dabei an die Bundesmarine denkt, die Tränen in die Augen treiben können. Dort liegt z.B. die USS Dwight D. Eisenhower, ein Flugzeugträger der Nimitz-Klasse für ein umfangreicheres Upgrade. In der nächsten Werft liegt ein Zerstörer der Arleigh Burke-Klasse im Trockendock, daneben die USS Wasp, ein Helikopterträger bzw. amphibisches Angriffsschiff als First-in-Class der Wasp-Klasse, sowie ein weiteres Schiff der gleichen Klasse. Dann ist da noch die Richard M. McCool Jr. (geiler Name), ein brandneues amphibisches Mehrzweckschiff der San Antonio-Klasse und noch viel mehr. Und das sind wohlgemerkt nur die Schiffe, die hier gerade in der Werft liegen. Die eigentliche Marine-Basis liegt nördlich der Stadt. Schaut mal bei Google Maps nach. Es ist echt krass, was da so alles liegt!






Ein besonderes Navy-Juwel ist allerdings die USS Wisconsin, ein altes Schlachtschiff der Iowa-Klasse, das heute ein Museums-Schiff ist. Das wollten wir uns heute anschauen. Die Wisconsin ist Bestandteil des Museums Nauticus, das sich der zivilen sowie der mitlitärischen Seefahrt im Allgemeinen, und bezogen auf Norfolk und Virginia im Speziellen widmet. Das geschieht auf die einzigartige amerikanische Edutainment-Art. So kann der Besucher an vielen Stellen rumexperimentieren und so zum Beispiel lernen, wie Segel Vortrieb erzeugen, kann in Quiz-Shows sein nautisches Wissen testen, kann virtuell Container auf ein Containerschiff laden usw. Das ist schon alles sehr kindgerecht, aber auch als Erwachsener kann man hier durchaus eine gute und auch lehrreiche Zeit haben.










Das Herzstück der Ausstellung ist natürlich die USS Wisconsin. Das mit deutlich mehr als 1000 Soldaten bemannte Schlachtschiff wurde 1944 in Dienst gestellt und kam auch direkt in der Pazifikflotte im Kampf gegen Japan zum Einsatz. Es folgte ein Einsatz im Korea-Krieg und zuletzt, nach einem größeren Upgrade, tatsächlich noch ein Einsatz im ersten Golfkrieg. So wurden wohl die ersten 8 Tomahawk Marschflugkörper beim Kriegseintritt der USA von der Wisconsin aus auf Bagdad abgefeuert.
Im Vergleich zu den modernen Marineschiffen, die man hier sieht, wirkt die Wisconsin mit ihren gewaltigen Geschützen tatsächlich wie ein aus der Zeit gefallenes Relikt. Beeindruckend ist sie aber allemal. Das Hauptdeck ist zu unserer großen Freude mit Teak belegt – ganz wie bei unserer Krassy – sie ist halt auch ein kleines Schlachtschiff. Darüber hinaus waren weite Bereiche der Wohndecks zugänglich, wodurch man einen guten Eindruck bekommen hat, wie das Leben an Bord aussah. Letztendlich handelt es sich um eine schwimmende Stadt, die alles bietet, was die Besatzung braucht. So konnten wir zum Beispiel eine Zahnarzt-Praxis finden, einen Friseursalon, eine Wäscherei, eine Bäckerei, die pro Tag 1500 Laibe Brot produziert hat, und natürlich Messen sowie Schlaf- und Aufenthaltsräume für alle möglichen Dienstgrade.
Über zahlreiche Monitore wurde entweder die Technik erklärt oder Anekdoten über das Leben an Bord erzählt, und ein paar wahrscheinlich ehrenamtliche Veteranen standen für Fragen zur Verfügung. Insgesamt eine informative und runde Ausstellung! Wir haben viel mehr Zeit auf der Wisconsin verbracht als erwartet. Sie ist halt ein wenig wie ein Kaninchenbau, in dem man sich schnell verlieren kann. Für geführte Touren tief in den Maschinenraum oder in die Feuerleitzentrale fehlte dann auch einfach die Zeit.














Anschließend drehten wir noch eine Runde durch die Stadt und kehrten dann müde und erschöpft zur Krassy zurück. Ab morgen haben wir für zwei Wochen einen Mietwagen, der uns das Leben hier sehr erleichtern wird. Über das Wochenende werden wir uns wohl um ein paar Krassy-Themen kümmern, und dann nächste Woche auf einen kleinen Road-Trip starten.