Intracoastal Waterway, North Carolina, USA
Unser letzter Tag auf See wurde noch richtig anstrengend. Deutlich früher als gedacht verließen wir den Golfstrom, der uns so schön angeschoben hatte. Dieser knickte recht unvermittelt nach Osten ab und wir fanden uns plötzlich in einer Gegenstrom-Zone wieder. Landseitig gibt es neben dem Golfstrom noch ein schmales Band, in dem es von Nord nach Süd strömt. Gegenströmung war maximal nervig, denn nicht nur schafften es unsere Selbststeueranlagen kaum den Kurs zu halten, wir bekamen dazu auch noch eine aufgewühlte See und eine unruhige Nacht. Hätten wir gerne drauf verzichten können…
Zum Glück hielt die Gegenströmung nicht allzu lange an und sobald wir wieder in strömungsfreiem Gewässer waren, wurde die Fahrt ruhiger. Es zeichnete sich allerdings ab, dass wir das Beaufort-Inlet mitten in der Nacht erreichen würden und so stellte sich uns die Frage, wie wir die Einklarierung am besten angehen. Nach den verstörenden Nachrichten der letzten Wochen und Monate waren wir natürlich ein kleines bisschen nervös, was das Einreisen in die USA anging. Wir haben zwar gültige Visa mit denen wir schon ein paar mal eingereist sind – zuletzt in Puerto Rico – aber wie es schien, wurde die Lage immer unberechenbarer. Oder zumindest suggerierten das die Medien.
Um ganz sicher zu sein, dass wir alles richtig machen, riefen wir einfach mal bei CBP (Customs and Border Protection), der Einwanderungsbehörde an. Seit einigen Jahren kann man übrigens als Segler sehr entspannt in die USA einreisen, denn man kann einfach über die App CBP Roam seine Daten hochladen und die Einreise anmelden, dann bekommt man einen Rückruf per Video-Call, zeigt seinen Pass und das Visum in die Kamera und erhält anschließend eine knapp formulierte Bestätigungs-Email. Einfacher kann man sonst fast nirgendwo einreisen. Da wir aber nachts ankommen würden, vermuteten wir, dass der Rückruf eines Beamten sicher nicht zu nachtschlafender Zeit kommen würde. Uns stellte sich also die Frage: jetzt noch über die App die Einreise melden oder lieber bis zum kommenden Morgen warten? Der freundliche Beamte am Telefon empfahl nachts noch die Daten zu übermitteln, aber wahrscheinlich würden wir erst am Morgen eine Rückmeldung bekommen. Gut möglich, dass wir dann auch noch mal ins Büro der CBP kommen müssten um die Einklarierung persönlich abzuwickeln. Na gut.
Gesagt, getan, ließen wir also, als wir ankamen, den Anker fallen und schickten unsere Daten über die App los. Wie erwartet passierte erst mal gar nichts und so gingen wir schlafen. Die Nacht war ja ohnehin kurz.
Am folgenden Morgen kam dann die befürchtete Nachricht: Die Einreise ist vorübergehend genehmigt, aber wir sollten uns umgehend im nächstgelegenen CBP-Office persönlich melden. Hierfür hätten wir 24 Stunden Zeit. Das wäre soweit ok gewesen, allerdings war es Samstag Morgen und das Office in Morehead City – weit und breit das einzige – sollte erst Montag früh wieder öffnen. Ich rief also noch mal bei CBP an und erklärte unser Dilemma. Kurzerhand stellte mich der Beamte direkt zum zuständigen Officer aus Morehead durch, der direkt anbot, dass wir heute auch außerhalb der Öffnungszeiten kommen könnten. Paul, so hieß der gute Mann, gab mir seine Handy-Nummer und wir verabredeten, dass ich mich noch mal melden würde, sobald wir uns in einen Hafen verholt hätten.
Ein Liegeplatz in Morehead City war schnell gefunden und nach einem weiteren Anruf bei Paul verabredeten wir uns für 13 Uhr im Office. Er wollte uns noch die Zeit zum Mittagessen geben. Per Uber fuhren wir also aus der Stadt heraus und der etwas verwirrte Fahrer setzte uns vor dem geschlossenen CBP-Büro in einem vereinsamten Industriegebiet ab. Deutsch wie wir nun mal sind, waren wir natürlich eine halbe Stunde zu früh dran. Paul fuhr 20 Minuten später auf den Parkplatz und sah aus als käme er gerade von einer Gartenparty: kurze Hosen, Turnschuhe, ein cooles Army-T-Shirt und eine verspiegelte Sonnenbrille. Er entschuldigte sich doch tatsächlich noch bei uns, dass wir hatten warten müssen und dabei hatten wir die ganze Zeit über ein schlechtes Gewissen den armen Mann am Wochenende ins Büro zu zwingen…
Die Formalitäten liefen ganz entspannt ab, beobachtet von einem Porträt des aktuellen Präsidenten, der mit bedrohlich hochgezogener Augenbraue auf uns herabschaute. Direkt daneben hing das Bild der Leiterin der Heimatschutzbehörde, die aussieht wie ein Super-Model. Sonst kennt man sie allerdings eher von Bildern aus den Gefängnissen in El Salvador… Dort mussten wir zum Glück nicht hin und auch die „Rubber-Hand-Inspection“ blieb uns dankenswerterweise erspart! Statt dessen gab uns Paul noch ein paar Hinweise für unsere Weiterfahrt und wünschte uns eine gute Reise.
Da wir nach mittlerweile fast 3 Wochen an Bord nun endlich mal wieder ein bisschen Bewegung brauchten, entschieden wir uns den Weg zurück zum Boot zu Fuß anzugehen. Unterwegs wollten wir auch noch ein bisschen einkaufen, denn da man in die USA keine frischen Lebensmittel einführen darf und wir eine ziemlich lange Zeit an Bord verbracht hatten, waren unsere Vorräte tatsächlich komplett aufgebraucht. Wir hatten nicht mal mehr Nudeln an Bord…
Nach einem großen Kaffee bei Dunkin Donuts, wo wir auch endlich mal wieder in den Genuss eines ultra-schnellen, offenen WLANs kamen, stiefelten wir zum einzigen Supermarkt im Ort weiter. Der stellte sich als halber Bio-Markt heraus, mit entsprechenden Preisen. Ich weiß, in Deutschland wird sehr, sehr, sehr viel geklagt, wie teuer alles geworden ist. Aber ganz ehrlich, das ist kein Vergleich zu dem was wir hier gesehen haben! Teilweise waren die Lebensmittel sogar auf den Bahamas günstiger. Wir reden hier davon, dass beispielsweise eine Tüte mit 5-6 Äpfeln über 10 Dollar kostet. Ein Pfund Roggen-Mehl kostet hier im günstigsten Fall 6 Dollar. Zum Vergleich, in Deutschland bezahlt man für ein Kilo nicht mal 3 Euro. Teuer sind nicht nur vermeintliche Luxus-Artikel, sondern auch ganz alltäglicher Kram. Man muss hier wirklich sehr genau hinsehen, was man kauft, sonst kann man schnell mit einer exorbitanten Rechnung aus dem Supermarkt gehen… Und auch wenn in Deutschland einiges sicher teurer geworden ist als früher, ich freu mich sehr wieder in heimischen Discountern einzukaufen, wo man fast uneingeschränkt alles bekommt und nicht fürchten muss sein Konto zu überziehen, weil man Lust auf Himbeeren hat.
Vom Supermarkt spazierten wir mit unserem Einkauf aus Gold nun durch ein klassisch amerikanisches Wohnviertel zurück zum Hafen. Es sah hier genau so aus, wie man das aus Filmen kennt. Schnurgerade Straßen, gepflegte Vorgärten und Holzbungalows in verschiedenen Pastell-Farben. Jedes Haus hat eine gemütliche kleine Veranda mit Schaukelstühlen vor der Tür und natürlich darf auch der obligatorische Haushund nicht fehlen. Es war idyllisch, wie wir dort unter den Magnolien-Bäumen entlang spazierten und wir merkten, wie die Anspannung der letzten Tage langsam von uns abfiel. Den Abend ließen wir mit einem großartigen Essen in einem Fischrestaurant an der Promenade ausklingen. Seit Samaná waren wir nicht mehr essen gegangen, denn irgendwie war auf den Bahamas kein einziges geöffnetes Restaurant zu finden gewesen. Wir freuten uns also umso mehr, dass wir hier von einer sehr aufmerksamen Bedienung mit einem leckeren Essen verwöhnt wurden und lernten dabei schnell, dass man hier in den Südstaaten hinter jeden Satz ein freundliches „y‘all“ anhängt.









Morehead City ist ein kleiner Ferienort mit hübscher Promenade. Hier ist nicht viel zu sehen, aber für uns Kartoffeln waren mal wieder die Autos ein echter Hingucker. Auch wenn dicke SUVs in Deutschland mittlerweile kaum mehr wegzudenken sind, wirken die gigantischen Trucks, die man hier auf den Straßen sieht eher wie LKWs als wie Autos. Die Modelle, die man auch bei uns gelegentlich sieht, kommen hier wie Kleinwagen rüber. Sowas wie einen einfachen Golf oder gar Polo haben wir bisher kein einziges Mal entdeckt, dafür stand ein Tesla Cyber Truck auf einem Parkplatz. Das Ding ist ebenfalls riesig und nicht gerade hübsch. Ein bisschen wie ein Autounfall, schrecklich anzusehen, aber man kann auch nicht wegschauen. Als Christian das Ding umrundete um ihn sich genauer anzusehen, blitze er einmal kurz mit dem Frontscheinwerfer auf um uns mitzuteilen, dass er uns bemerkt hatte. Wir hielten ein bisschen Abstand, denn dieses Auto machte den Eindruck als würde es einen mit irgendwas bewerfen oder blitzschnell eine Tür aufschwingen um einen aus dem Weg zu stoßen, falls man ihm zu nahe kommt.
Damit ihr mal einen kleinen Eindruck von den Dimensionen der Fahrzeuge hier bekommt hab ich mich mal vor einen Truck gestellt. Ich bin zwar klein, aber normalerweise kann ich bei einem Auto über die Motorhaube schauen. Hier würde mich der Fahrer nicht mal sehen, wenn ich vor ihm über die Straße gehen würde. Gruselig!



Da wir noch einige Meilen bis zu unserem Ziel Norfolk, Virginia vor uns haben, sahen wir am nächsten Morgen zu, dass wir schnell los kamen. Abwechselnd unter Segeln und mit Motor fuhren wir jetzt den Intracoastal Waterway (ICW) hinauf. Der ICW erstreckt sich übrigens von Florida aus bis nach Norfolk, man kann also die gesamte Strecke in diesem Binnengewässer zurücklegen, ohne dabei auch nur ein einziges Mal auf den Atlantik rausfahren zu müssen. Der ICW verläuft parallel zur Küste und ist nur durch einen schmalen Landstreifen vom Ozean getrennt. Hier gibt es immer mal wieder Öffnungen, durch die man zwischen ICW und Atlantik hin und her fahren kann. Das Beaufort-Inlet ist eine dieser Öffnungen. Besonders hier im nördlichen Teil des ICW kann einen der Weg auch mal durch schmale Kanäle führen, die stark an die Staande-Mast-Route in Holland erinnern. Auch die Wasserfarbe erinnert mit einer Mischung aus Ocker und Braun eher an heimische Gefilde und nicht mehr an die 50 Shades of Blue der Karibik und Bahamas. Ist man hier zu lange unterwegs, dann kann sich das Boot einen sogenannten „ICW-Moustache“ einfangen, einen großen vergilbten Fleck am Bug, den man übrigens auch bei Ostsee-Seglern gern mal sieht.
Der ICW führt uns abwechselnd über kleinere Binnenmeere und durch von Pinien gesäumte Kanäle. Hier und da stehen hübsche kleine Häuser am Ufer, alle mit privaten Bootsanlegern und den hier üblichen Hebeeinrichtungen für kleine Motorboote. Die liegen hier nicht im Wasser, wenn sie gerade nicht gebraucht werden, nein, sie schweben in der Luft.









Die Nacht verbrachten wir mitten in einem schmalen, sehr flachen Kanal, wo ein Firma für Fischverarbeitung ein paar Liegeplätze für Segelboote anbietet. Hier war es herrlich ruhig, auch wenn uns in der Windstille der Nacht die Mücken auffraßen. Heute früh konnten wir allerdings noch ein bisschen Fisch und ein paar frische Shrimps fürs Abendessen ergattern. Bis nach Norfolk werden wir noch ein paar Tage unterwegs sein. Es ist eine schöne Abwechslung mal wieder ein bisschen durch Kanäle zu schippern und die Landschaft zu genießen anstatt auf offener See zu sein.