Falmouth, Antigua
Eigentlich wollten wir schon längst in einer einsamen Ankerbucht vor Barbuda liegen oder auf dem Weg in den Süden nach Montserrat sein, aber wie so oft beim Segeln kam es anders. Vielleicht habt ihr euch ja auch schon gewundert, warum wir so lange auf Antigua in der immer gleichen Bucht herumliegen…
Was wir euch bisher noch nicht erzählt haben, ist, dass wir auf der Überfahrt von Deshaies nach Antigua – ihr erinnert euch, unerwartet wenig Wind – nach vorn aufs Vorschiff flüchteten um dort ein bisschen die Illusion schnellen Segelns zu genießen und mal für ein paar Minuten nicht auf unsere Logge zu schauen, die für unseren Geschmack deutlich zu lahm lief. Bei diesem Ausflug saßen wir auf Höhe der Wanten auf dem Aufbau herum und stellten auf einmal etwas beunruhigendes fest. An einer der Oberwanten war eine Kardeele gebrochen! Wer jetzt denkt, wir sprechen wieder Spanisch, hier kurz zur Erklärung: die Wanten halten unseren Mast an Ort und Stelle, nach vorn und hinten wird dieser durch Vor- und Achterstag abgestützt und zur Seite durch die großen Oberwanten und kleinere Unterwanten davor und dahinter. Dieses Konstrukt sorgt dafür, dass unser Mast unfassbare Kräfte aufnehmen kann, die beim Segeln wirken und dass er weder umfällt noch abknickt. Man nennt das Ganze auch Stehendes Gut und dieses sollte man immer gut im Auge behalten, denn es ist essentiell wichtig für die Sicherheit. Die Wanten bestehen aus Stahlseilen, die aus mehreren einzelnen Drähte, sogenannten Kardeelen, bestehen. Unsere Oberwanten haben 19 Kardeelen und von denen war jetzt eine an der Pressung gebrochen. Das klingt erst mal gar nicht schlimm, es waren ja noch 18 Kardeelen übrig. Für die Überfahrt nach Antigua war auch alles kein Problem, hierdurch kommt einem nicht gleich der Mast runter, aber nicht nur ist das ein sehr schlechtes Zeichen, auf längeren Überfahrten oder in wilden Bedingungen kann einem dann eben doch irgendwann der Mast auf den Kopf fallen und das wollen wir auf keinen Fall.
An dieser Entdeckung ärgerten uns gleich mehrere Dinge. Erstens haben wir unser gesamtes Stehendes Gut vor gerade mal 2 Jahre erneuern lassen um eben genau dieses Problem nicht zu haben, zweitens waren wir ja gerade in der Werft, da hätte man das sehr einfach beheben lassen können und drittens hatten wir wenig Lust auf den Organisationsaufwand und die Zeitverzögerungen, die sich aus diesem kleinen gebrochenen Draht nun ergeben würden.
Unseren Riggbauer in Cuxhaven schrieben wir nach unserer Ankunft in Antigua direkt an, um mal freundlich zu fragen, wie das denn sein kann, dass unser brandneues Rigg nun schon wieder Schäden zeigte. Wir hätten bestimmt eine Patenthalse gefahren oder eine saftige Grundberührung gehabt, aber ansonsten tut es ihm sehr leid. Wenn wir nachweisen können, dass es sich um einen Materialmangel handelt, dann erstattet er uns gern die Kosten zurück. Na vielen Dank auch! Nachweisen kann man so einen Mangel im Nachhinein nicht mehr und wir hatten im Übrigen weder eine saftige Grundberührung noch sind wir eine Patenthalse gefahren. Das hätten wir wohl mitbekommen!
Naja, es halft nichts, wir mussten uns auf die Suche nach einem Riggbauer machen, der unser Problem möglichst schnell und unkompliziert beheben könnte. In Antigua sind wir da zumindest schon mal am richtigen Ort, denn hier gibt es gefühlt mehr Yachten als Einwohner und somit sind hier auch sehr gute Bootsbau-Betriebe zu finden. Diese Woche fand allerdings eine große Regatta, die Caribbean 600 statt und daher waren die Betriebe teilweise gut ausgelastet oder die segelbegeisterten Riggbauer waren selbst bei der Regatta dabei…
Direkt nach unserer Ankunft auf Antigua liefen wir zum ersten Betrieb auf unserer Liste, A&A-Rigging. Ashley, einer der A‘s empfing uns freundlich in seinem auffallend sauberen und gut sortierten Container, wo er gerade eine Leine spleißte (ein tolles Handwerk im Übrigen!). Er hätte frühestens Ende der Woche Zeit für uns, aber das Problem könnte man dann schnell beheben. Wenn wir es eilig hätten könnten wir noch ein paar andere Betriebe anfragen, von denen er uns auch direkt die Kontaktdaten gab. Das nenne ich mal Service!
Ende der Woche war uns eigentlich ein bisschen zu spät, also entschieden wir die anderen Adressen auch mal abzuklappern und fuhren mit unserem Dinghy quer durch die Bucht zu Antigua Rigging. Auch hier war unser erster Eindruck sehr positiv, denn wir wurden herzlich empfangen und der Betrieb kam ausgesprochen kompetent daher. Was uns nicht gefiel war, dass man uns hier sagte, wir müssten in jedem Fall den Mast legen um die Wanten auszutauschen. Spätestens seit Mindelo wissen wir, dass das auch mit stehendem Mast kein Problem ist und wir fürchteten, dass die Kosten explodieren würden, ganz abgesehen vom Aufwand, der für uns damit verbunden wäre… Antigua Rigging konnte uns noch keinen Termin zusagen, man wollte uns aber auf jeden Fall noch im Laufe des Tages anrufen. Klang gut.
Wo wir nun schon mal auf der Nordseite der Bucht waren, ließen wir unser Dinghy am Steg zurück und machten einen ausgedehnten Spaziergang. Antigua ist bekannt dafür, dass es hier 365 Strände geben soll, für jeden Tag des Jahres einen. Davon wollten wir natürlich noch ein paar mehr sehen, bisher lag unser Strand-Zähler nämlich noch bei eins. Wir spazierten also zum nächsten Strand, wo wir ein paar riesige Pelikane in der Ferne jagen sehen konnten. Pelikane sind so ziemlich die beeindruckendsten Vögel, die ich bisher je gesehen habe. Die sind nicht einfach nur groß, sie sind gewaltig! Manchmal gibt es ja so Tiere, die einen von klein auf unerklärlicherweise total fasziniert haben. Pelikane gehören bei mir auf jeden Fall dazu!















Der kleine Strand war relativ unspektakulär und da wir den Stand-Zähler noch auf drei erhöhen wollten, liefen wir weiter. Wir kamen an einer Straße entlang, die gesäumt war von Nahrung. Gigantisch große und voll behängte Mango-Bäume, Tamarinden, Papayas und eine verrückt aussehende Frucht namens Ackee, die Nationalfrucht von Jamaika und noch viele weitere interessante Bäume und Büsche wuchsen am Straßenrand. Die Mangos waren leider alle unreif, sonst hätten wir mit Sicherheit ein paar geerntet… Neben exotischen Früchten sahen wir auf dem Weg auch Kolibris, abgefahrene, schwarz-gelbe Riesenraupen, eine Art rote Termiten und natürlich auch die jagenden Pelikane, für die wir eine Felsklippe hochkletterten um sie beobachten und fotografieren zu können. Ganz unerwartet war unser kleiner Spaziergang zu einer echten Entdeckungstour geworden.












Nach einer weiteren sehr nassen Fahrt mit unserem schlabberigen Dinghy, das, wie sich langsam zeigt, doch leider viel zu klein für die Karibik ist, kamen wir wieder im Ort an und fanden dort einen liebevoll angelegtes, kleines Restaurant in dem wir ein typisch karibisches Mittagessen und hausgemachten Fruchtsaft zu einem echt fairen Preis bekamen. Es war gemütlich und das Essen war mal wieder hervorragend! Wir sollten hier nicht zum letzten Mal gegessen haben…




Gegen Abend war dann klar, Antigua Rigging würde sich nicht melden. Den ganzen Tag über hatten wir das Telefon im Auge behalten, aber der gute Mann hatte doch nicht angerufen. Okay, falls wir am nächsten Morgen nichts hören sollten, würden wir nachhaken.
Gesagt, getan, denn auch am kommenden Mittag war noch kein Anruf bei uns eingegangen. Wir riefen also an und wurden wieder sehr freundlich auf einen Rückruf für den finalen Termin vertröstet. Is klar, der kommt diesmal bestimmt… Einen dritten Rigger hatten wir übrigens in der Zwischenzeit noch per E-Mail kontaktiert, der war aber gerade mit der Regatta unterwegs und wäre erst Anfang der nächsten Woche wieder für uns da.
Wie erwartet kam wieder kein Rückruf und so entschieden wir, dass wir nun auch zu Ashley gehen könnten, der hatte zumindest einen konkreten Tag zugesagt. Wieder plauderten wir nett mit Ashley und er sagte uns zu, dass er sich wahrscheinlich Ende der Woche um unser Problem kümmern könnte. Er wollte noch mal prüfen, dass auch alle benötigten Materialien da wären und sich dann noch mal bei uns melden. Wir müssten dann allerdings für einen Tag in eine der Marinas gehen, denn vor Anker könnte man die Reparatur natürlich nicht machen. Und Ashley hielt Wort. Er meldete sich kurz darauf, dass noch ein paar Materialien fehlten, die er aber wahrscheinlich am folgenden Tag auftreiben konnte. Es konnte losgehen, also stiefelten wir als nächstes die Häfen ab um dort hoffentlich kurzfristig einen Liegeplatz zu bekommen. Beim zweiten Versuch wurden wir in der Catamaran Marina fündig. Hier könnten wir spontan – und natürlich nur ausnahmsweise – für eine Nacht einen Platz bekommen. Wie gesagt, hier liegen sonst nur Superyachten und die Preise für die Marinas haben es teilweise ganz schön in sich! Die Catamaran Marina ist aber halbwegs preiswert, auch wenn es hier erstaunlicherweise keine Duschen gibt. Wer sich hier einen Hafen leisten kann, der hat in der Regel auch seine eigene Dusche an Bord. Und wie es scheint große Menge an Bargeld, denn der einzige Geldautomat hier in Falmouth und English Harbour ist quasi dauerhaft außer Betrieb…
Wir waren erleichtert, doch in einigermaßen kurzer Zeit einen Riggbauer und einen Liegeplatz für die Reparatur gefunden zu haben und beschlossen nun den Rest des Tages zu nutzen und einen kleinen Ausflug in den Hauptort St. John‘s zu machen. Mal wieder schnappten wir uns dafür einen lokalen Kleinbus und stiegen mitten im Ort am Busbahnhof wieder aus. St. John‘s war eine nette Abwechslung vom Luxus-Yachten-Zirkus, aber so richtig schön ist es dort nicht. Der Ort ist angenehm karibisch, wenn man sich ein bisschen vom unmittelbaren Dunstkreis des Kreuzfahrtterminals fernhält, aber außer einigen kleinen Geschäften und einer ganzen Reihe Straßenständen mit frischem Obst und Gemüse ist hier nicht viel zu sehen. Allerdings fanden wir mal wieder ein kleines, sehr unscheinbares Restaurant, in dem normalerweise nur die Einheimischen essen. Hier bekamen wir für umgerechnet etwa 5€ eine riesige Portion Reis, Kartoffelpüree mit Kokosmilch, gegrilltem Hähnchen und Cole Slaw. Richtig lecker! Die Portion war nicht zu schaffen und es war mal wieder ein Erlebnis zu versuchen, das Hähnchen nur mit einer Plastikgabel zu essen…















Man muss schon sagen, kulinarisch ist Antigua ein echtes Juwel, zumindest wenn man dort hin geht, wo auch die Einheimischen essen. Christian hat sich sogar heute noch ein T-Shirt von der großartigen Roti Sue gekauft, die mit Abstand die leckersten Rotis in der Karibik macht. Auch dieser Laden ist eine unbedingte Empfehlung an alle, die vielleicht irgendwann mal auf Antigua vorbeikommen!
Heute früh mussten wir dann mal wieder früh aufstehen, denn wir wollten pünktlich um 8 Uhr in der Marina anlegen. Eigentlich hatten wir einen Platz zugewiesen bekommen, an dem der eigentliche Eigner des Liegeplatzes eine Boje versenkt hat. Wir freuten uns, denn die würde uns den Anleger deutlich erleichtern. Auf dem Weg in die Marina meldeten wir uns also per Funk an und wurden dann angewiesen, doch nicht diesen Platz zu nehmen, sondern den daneben. Und dafür müssten wir den Anker werfen und dann rückwärts an den Steg fahren. Na toll! Das ist ein klassischer römisch-katholischer Anleger, wie man ihn eigentlich aus dem Mittelmeer kennt, aber der ist absolut nichts für die Krassy… Zum Glück war es völlig windstill und so klappte das Manöver erstaunlich gut, auch wenn mir beim Blick auf unser Echolot ein paar Mal das Herz in die Hose rutschte. Hier war es ganz schön flach!
Als wir gerade ein paar Minuten fest lagen, kamen auch schon die Jungs von Ashley vorbei um die Wanten auszumessen. Mit leicht panischem Entsetzen im Blick beäugten die beiden erst mal unsere etwas ungewöhnlichen Mastwinschen. Anders als die meisten anderen Boote hat die Krassy nämlich noch uralte Drahtwinschen am Mast. Wir finden die super, denn so sind Groß- und Genuafall immer schön ordentlich aufgerollt und wir haben keinen Leinensalat am Mast. Modern ist das allerdings nicht mehr und ganz offensichtlich trauten die beiden Rigger den alten Dingern nicht so recht zu, sie sicher in den Mast zu ziehen. Sie bastelten also eine Weile herum, lösten unser Genuafall aus der Winsch und wickelten eine Leine darum. Statt wie bei modernen Schiffen auf Knopfdruck musste einer jetzt also old-fashioned in den Mast klettern während der andere mit aller Kraft an der Leine zog. So ist das eben auf alten Booten…
Die zwei nahmen es aber mit Humor und machten aus den erschwerten Bedingungen ziemlich professionell das Beste. Sie maßen die Wanten aus und wollten dann gegen Mittag wieder da sein um die neu gepressten Drahtseile einzubauen.
Für uns also erst mal Zeit zum Frühstücken, Telefonieren und in den Tag starten. Wenn wir schon mal eine Marina mit halbwegs brauchbarem WLAN haben, dann will das gut genutzt sein…
Wesentlich schneller als erwartet waren die beiden Jungs aber wieder da und brachten auch gleich unsere neuen Wanten mit. Es war schon beeindruckend zuzusehen, wie die beiden aus den Mitteln, die wir an Bord nun mal haben, den Mast abstagten, die alten Wanten aus Mast und Salingen lösten und die neuen Drahtseile ruck-zuck wieder einbauten. Christian und ich fassten mit an, wo es nur ging und so war die ganze Aktion bis zum Mittag schon erledigt. Das war auch gut so, denn es wurde langsam ganz schön heiß an unserem windgeschützten Liegeplatz.





Von so zügiger und professioneller Arbeit waren wir schwer beeindruckt. Zuhause wird immer ein großes Brimborium um das genaue Messen der Wantenspannung veranstaltet und man kann hier ein kleines Vermögen in professionelle Messinstrumente investieren. Die beiden rüttelten einmal an der Want, drehten den Spanner noch zweimal und dann waren sie zufrieden. Christian hat ein einfaches Messgerät für die Wantenspannung und als die zwei weg waren maß er aus Interesse mal nach. Die Spannung stimmte perfekt! Das nenne ich mal Erfahrung.
Da wir noch erstaunlich viel Tag übrig hatten, räumten wir die Krassy auf und fuhren anschließend, sehr erleichtert über unser neues Rigg, noch mal in den Ort. Wir wollten unsere Rechnung persönlich begleichen und uns mit ein paar Leckereien fürs Team noch mal ausdrücklich bedanken. Man kann mit Handwerksbetrieben gute und schlechte Erfahrungen machen, wir hatten schon beides und wir wissen guten Service und professionelle Arbeit sehr zu schätzen. Falls ihr also mal mit einem Rigg-Problem auf Antigua landen solltet, dann können wir euch A&A-Rigging von Herzen empfehlen!
Morgen machen wir uns endlich auf Richtung Norden für einen kleinen Zwischenstopp und dann geht es weiter nach Barbuda. Da freuen wir uns jetzt umso mehr drauf, denn nach den ganzen unerwarteten Bootsarbeiten ist es langsam mal wieder Zeit für eine schöne Ankerbucht und ein bisschen Entspannung…
Moin an die Riggretter,
da habt Ihr ja noch echt Glück gehabt, daß Ihr den Schaden jetzt bemerkt habt und die Gelegenheit zur Reparatur hattet. Man stelle sich mal vor, wenn das auf der Rückreise (Bermuda – Azoren?) aufgetreten und nicht so glimpflich wie jetzt ausgegangen wäre. Insofern kann ich Euren Unmut über den Rigger – und vor allem dessen Reaktion auf Eure Meldung – sehr gut nachvollziehen.
Laßt Euch die Laune deswegen nicht verderben, sondern genießt den Aufenthalt auf Barbuda (Wozu AIS doch nicht alles gut ist …).
Lieben Gruß,
Jürgen
Moin Jürgen,
ärgerlich ist das, aber das hat nur kurzzeitig auf die Stimmung gedrückt. Immerhin ist jetzt wieder alles toppi und Antigua ist ja auch ein Ort, an dem man mal ein paar Tage länger verweilen kann als geplant.
Einen Material- oder Verarbeitungsfehler können wir unserem Cuxhavener Fachbetrieb natürlich nicht nachweisen, daher sind wir höchstens auf deren Kulanz angewiesen. Kurzum: Die Kosten für die Reparatur werden wohl an uns hängen bleiben. Dafür war’s aber gar nicht mal so teuer.
Jetzt erstmal wieder segeln und Inseln erkunden!
Liebe Grüße!