Englischer Sommer

Brighton, Großbritannien

Nachdem wir gestern schon bei ordentlich Wind in den Hafen von Brighton rauschten wehte es noch die Nacht und heute den ganzen Tag weiter. Heute Nacht soll es sogar noch mal aufdrehen und auch morgen ist es weiterhin sehr windig. Wir bleiben also noch in Brighton. 

Leider ist unser Liegeplatz nicht so der Knaller, denn wir liegen relativ kurz hinter der Hafeneinfahrt ziemlich exponiert längsseits am Steg. Das war gestern in der Hektik des Ankommens die einfachste Wahl und auch das, was uns das Hafenoffice per Funk als Liegeplatz durchgegeben hatte. Ein wenig weiter drinnen ist es wesentlich ruhiger, aber wir wollen die Krassy bei diesem Wind auch nicht umparken, außerdem sind das hier nun mal die Gastliegeplätze. 

Der Wind drückt uns auf den Steg, aber wir sind gut abgefendert. Das laute Pfeifen der Böen und diverses Klappern von Leinen und Strecktauen, die sich kaum vermeiden lassen gehen uns eher auf den Geist, vor allem nachts. 

Ein etwas größeres Problem hatte der Wind allerdings verursacht und das war ein wenig unerwartet: Das Kabel unseres Windmessgerätes ist durch den seitlich anströmenden Wind aus der Mastnut gerutscht und flatterte auf halber Länge des Mastes herum, wo es gegen die Saling schlug. Der Mast ist bei uns etwas blöd konstruiert, denn er hat nicht wie moderne Masten einen geschlossenen Kabelkanal, sondern hier werden alle Kabel quasi durch den gleichen Kanal geführt in dem wir auch das Großsegel hochziehen. Das war uns gar nicht aufgefallen, bis wir die Instrumente austauschten und das uralte, dicke Kabel des alten Windmessers gegen ein neues, sehr viel dünneres ersetzten. Das klemmt sich in der schmalen Rinne nicht so gut und kann so bei ungünstigen Bedingungen herausrutschen. In der Vorbereitung der Reise hatten wir eigentlich vor gehabt alle Mastkabel noch zu tauschen und vielleicht sogar einen vernünftigen Kabelkanal in den Mast zu kleben oder die Kabel irgendwie anders zu befestigen. Da wir aber unerwartet mit stehendem Mast ins Winterlager mussten, gab es dafür leider keine Gelegenheit mehr. Außerdem hatten wir bisher nur einmal das Problem, dass das Kabel herausgerutscht war und dachten, das wäre behoben. Tja, wohl doch nicht… 

Mit dem flatternden Kabel wollte Christian das Boot auf keinen Fall in den stürmischen Bedingungen stehen lassen, also bestand er darauf, dass ich ihn heute nach dem Frühstück in den Mast ziehe. Das war mir gar nicht recht, denn ich konnte mich auf Deck schon kaum gegen den Wind stemmen und hatte Angst, dass Christian was passiert. Half aber nichts, er musste trotzdem hoch um das Kabel irgendwie zu sichern. Provisorisch ist das Kabel jetzt mit Gummibändern und Gewebeband in der Nut fixiert. Wenn der Wind nachlässt müssen wir aber noch eine vernünftige Lösung finden, denn so können wir aktuell kein Großsegel hochziehen.

Nach dieser Aufregung machten wir uns auf den Weg nach Brighton um den Ort zu erkunden. Auch diese Marina ist etwas abgelegen und so mussten wir mit einem der englischen Doppeldeckerbusse fahren. Das ist immer wieder schön und gehört ja auch ein bisschen zu diesem wunderbaren Land! 

Nach einer etwa 15-minütigen Busfahrt mit toller Aussicht kamen wir im Stadtkern an und besuchten zuerst mal die große Pier. Der Wind wehte immer noch ohne Unterlass und mittlerweile hatte noch dazu ein unangenehmer Nieselregen eingesetzt. Absolutes Sau-Wetter! 

Die Pier überraschte uns etwas, denn ähnlich wie in Scheveningen, war auf der Pier ein Vergnügungspark. Man musste 1 Pfund Eintritt zahlen und kam dann entlang von zahllosen Buden, die Donuts, Crêpes und andere Sünden anboten zu einer Spielhalle. Hier waren wir dann erst recht überrascht, denn diese war nicht nur sehr groß und über und über voll mit Spielautomaten, aus denen man mit Greifarmen Kuscheltiere heben kann, klassischen Flippern und vor allem einem seltsamen Spiel bei dem man Münzen von einer Plattform schieben muss indem man mehr Münzen einwirft. Nein, die eigentliche Überraschung war, wie voll es dort war und mit welcher Inbrunst die Leute jeden Alters – von Familien mit kleinen Kindern über Teenager-Gruppen bis hin zu alten Leuten – die Automaten mit Geld fütterten. Es war noch nicht mal so, dass man hier irgendetwas interessantes gewinnen konnte. Die Automaten spuckten neben den Münzen nur billigsten Klimbim aus, den wirklich kein Mensch braucht. Es war ein wenig erschreckend! 

Das absurdeste war ein Stand, an dem man sich für den stolzen Betrag von 5 Pfund an eine Klimmzugstange hängen konnte. Schaffte man es sich dort länger als 90 Sekunden zu halten bekam man ein hässliches Stoffpüppchen,das sicher keine 5 Pfund wert war. Das ist wahrscheinlich die einfachste Art Geld zu verdienen, die man sich vorstellen kann, man muss nur genug Dumme finden, die so viel zahlen um etwas so unsinniges zu tun… Das schien hier allerdings kein Problem zu sein. 

Auf dem hinteren Teil der Pier sind dann noch einige klassische Kirmes-Fahrgeschäfte installiert, die jedoch ein wenig in die Jahre gekommen sind. Wegen des Sturms waren einige heute geschlossen, aber allein der Regen hätte wohl ohnehin die meisten Leute davon abgehalten, sich heute in eine Achterbahn zu setzen. 

Brighton hat einen Kieselstrand, der heute aber selbstverständlich wie leergefegt war, nicht zuletzt wegen der vielen Warnschilder und roten Flaggen. Die heranrollende Brandung sah nicht nur lebensgefährlich aus, sie war es auch. 

Wir beeilten uns von der ungemütlichen Küste weiter in die Stadt zu kommen, wo zumindest vom Wind nicht mehr viel zu spüren war. Brighton ist wirklich schön und vor allem sehr, sehr bunt. 

Da Brighton bekannt ist für seine Offenheit gibt es hier eine sehr große LGBTQ-Gemeinde. Überall sind Regenbogenflaggen und die Menschen auf den Straßen erinnerten fast schon an das Publikum von Großstädten wie Hamburg oder Berlin. Nicht umsonst wird Brighton auch als London by the Sea bezeichnet. Es ist toll zu sehen, dass sich hier niemand verstecken muss. Das sollte eigentlich überall selbstverständlich sein! 

Im Stadtkern ließen wir uns durch die vielen hübschen Gassen treiben und bewunderten die typisch englischen Gebäude und ausgefallenen Geschäfte und Cafés. Immer wieder stößt man hier auf neue Ecken oder biegt unverhofft in eine bunt geschmückte Straße mit außergewöhnlichen kleinen Läden ab, die mal handgemachten Schmuck, Vintage-Kleidung oder haufenweise alte Bücher oder Schallplatten feilbieten. 

Mitten in Brighton thront in einem nett angelegten Park dann auch noch der bombastische Royal Pavilion, der Anfang des 19. Jahrhunderts von George IV. erbaut wurde und aussieht wie ein indischer Maharaja-Palast. Eigentlich passt dieses Bauwerk überhaupt nicht hier her und lässt den Eindruck entstehen, dass da ein Kolonialherrscher seine Reiche besucht hat und anschließend auch so einen Prunkbau haben wollte, wie er ihn bei seinen Untertanen gesehen hat. 

Da Königin Victoria nicht gern nach Brighton kam, da sie hier zu wenig Privatsphäre hatte wurde der Palast 1850 für den Spottpreis von 53.000 Pfund an die Stadt Brighton verkauft und ist heute nach einer aufwändigen Restaurierung ein Museum. Während des Krieges diente er übrigens als Lazarett in dem Verwundete versorgt wurden. Wir schauten uns den Palast nur von außen an, wir wollten heute lieber die Stadt auf uns wirken lassen. 

Als wir langsam Hunger bekamen und die Beine müde wurden suchten wir Unterschlupf in einem gemütlichen und typisch englischen Pub. An der Theke bestellten wir uns ein Pint des lokalen Ales und gönnten uns ein zünftiges Mittagessen aus Meat Pie mit cremigem Kartoffelpüree und Bratensauce. Das war lecker, aber ein ganz schöner Brocken! Freundlicherweise wies die Speisekarte direkt darauf hin, dass ein Erwachsener durchschnittlich ca. 2000 Kalorien am Tag essen sollte. Guter Hinweis, denn mit jedem einzelnen Gericht auf der Karte in Kombination mit einem Pint Bier kam man locker über diese Ernährungsempfehlung… 

Nach dieser kleinen Stärkung spazierten wir noch eine ganze Weile weiter durch die Stadt. Es gibt hier ein Kunstwerk des berühmten Straßenkünstlers Banksy, dessen wahre Identität bisher unbekannt ist. Das Bild mit dem Titel Kissing Coppers auf dem sich zwei britische Polizisten küssen gilt als eines der wichtigsten Werke des Künstlers. Erst vor Kurzem wurde in London eine ganze Reihe neuer Bilder von Banksy gefunden. Die Tatsache, dass niemand weiß, wer hinter den meist mit Schablonen gesprühten Bildern steckt macht Banksy und seine Kunst zum Gegenstand vieler Spekulationen und Interpretationen. Ein wirklich spannender Künstler! 

Wir fanden das Bild, im Nachhinein las ich allerdings, dass das Original 2008 durch den Pub, an dessen Fassade das Werk aufgesprüht war, demontiert und verkauft worden war. Das Bild war aufgrund seiner recht eindeutigen Botschaft mehrfach Ziel von Vandalismus geworden und so entschieden die Betreiber des Pubs das Bild durch eine Replik auf Leinwand zu ersetzen und verkauften das Original bei einer Auktion in Miami für 575.000 Dollar. Ein geringer Preis, denn man hatte damals mit einer höheren Summe gerechnet. 

Der Verkauf des Kunstwerks ist umstritten, denn Banksy‘s Intention ist offensichtlich nicht der Profit mit seinen Bildern, sondern die Botschaft dahinter. Auch für Brighton war der Verkauf ein Verlust, denn ein echter Banksy ist aufgrund der popkulturellen Bedeutung nicht nur ein Magnet für Kunstliebhaber. 

Da bei Banksy auch der Standort eines Kunstwerks Teil dessen ist, ganz besonders bei den Kissing Coppers in Brighton, der LGBTQ+ Capital of the UK, war der Verkauf auch ein Affront gegen die Community. 

Nach unserer langen Tour durch die Stadt und bei zunehmend unangenehmem Regen setzten wir uns wieder in den Bus und fuhren zurück zur Krassy. Es weht noch immer und wir stellen uns wieder auf eine unruhige Nacht an. Morgen müssen wir aber ausgeschlafen sein, denn wir haben etwas vor, worauf ich mich wirklich sehr freue! Was genau, das erfahrt ihr dann morgen Abend (oder übermorgen, mal sehen, wie spät es wird)…

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2 thoughts on “Englischer Sommer

  1. Hallo ihr beiden, hoffentlich ist euch das Wetter wohlgesonnen morgen, hier ist der Wind auch angekommen und für heute Abend ist Sturmflut an der Küste angesagt. Wir sind aber wild entschlossen zu grillen, Bremer Sommer eben.
    Gute Fahrt, genug Wasser habt ihr ja unter’m Kiel.

    1. Hey ihr Lieben, das Wetter will noch nicht so ganz wie wir… aber es soll besser werden!
      Grillen klingt super 😊 Lasst es euch schmecken!
      Ganz viele liebe Grüße von uns beiden!

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