Großstadtgeflüster – ein Tag in London

Brighton, Großbritannien

Vielleicht habt ihr es euch schon gedacht, wir waren gestern in London! 

Die Nacht war wie erwartet wieder sehr unruhig, denn jetzt zogen die ganz wilden Böen über uns hinweg und sorgten besonders in den frühen Morgenstunden für eine apokalyptische Geräuschkulisse. Christian ging mitten in der Nacht sogar noch mal raus um die Fender zu klarieren und kam gischt-geduscht und salzig wieder zurück. Der Hafen liegt hinter einer sehr hohen Hafenmole geschützt, aber in den letzten Tagen konnten wir selbst bei Niedrigwasser – hier beträgt der Tiedenhub allein ca. 5 Meter – die Gischt über die Mole sprühe sehen. 

Nicht ganz so ausgeschlafen wie erhofft standen wir trotzdem früh auf, Christian duschte noch schnell das Salz ab und dann ging es auch schon direkt los zum Bahnhof. In der Nähe der Marina stiegen wir wieder in den Doppeldeckerbus ein. In diesen Bussen bekommt man einen Eindruck wie sich Harry Potter im Fahrenden Ritter gefühlt haben muss, denn im oberen Deck wird man ganz schön durchgeschüttelt und schreckt immer wieder zusammen, wenn der riesige Bus dicht unter Bäumen, Laternenpfählen oder anderen Bussen vorbeischrammt. Busfahren ist hier ein echtes Erlebnis! 

Von Brighton aus fährt alle 15 Minuten ein Zug direkt ins Herz von London. Die Fahrt dauert etwas über eine Stunde und für Hin- und Rückfahrt außerhalb der Stoßzeiten zahlten wir pro Person nur schlappe 27 Pfund. 

Schon auf der Zugfahrt hatte wir jede Menge Spaß dabei die Leute zu beobachten und als wir am Bahnhof St. Pancras ausstiegen empfing uns die Stadt mit strahlendem Sonnenschein. 

London ist eine meiner absoluten Lieblingsstädte. Ich war schon unzählige Male dort und genieße jedes Mal wieder die tolle Atmosphäre. Christian war bisher erst einmal in London und das auch nur für einen halben Tag, also wollten wir ein bisschen was sehen. 

Zuerst wollten wir uns eine Tageskarte für die Metro besorgen, erfuhren dann aber von einem freundlichen Bahnangestellten, dass es günstiger wäre einfach mit der Kreditkarte durch die Terminals an den Bahnhöfen zu gehen. Dabei wird jedes Mal eine Einzelfahrt abgerechnet, der Betrag ist aber bei ca. 9 Pfund gedeckelt, ab dann fährt man also praktisch kostenlos. Einfacher geht es kaum! 

Wir liefen zuerst vom Bahnhof aus nach Soho und besuchten die berühmte Carnaby Street. Die Carnaby Street ist hauptsächlich aus den Swinging Sixties bekannt, ihre Geschichte reicht aber noch weiter zurück. Schon um 1820 gab es hier einen Markt, Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Gegend um die Carnaby Street jedoch vom schäbigen Hinterhof zum weltbekannten Mode-Hotspot. Ein Fotograph namens Bill „Vince“ Green, der sich auf männliche Bodybuilder spezialisiert hatte, eröffnete hier eine kleine Boutique. Die Zielgruppe der Boutique war zunächst die schwule Bodybuilding Community aus der Nachbarschaft. Vince fotografierte für seinen Katalog unter anderem den damals noch völlig unbekannten Sean Connery. Wenn ihr mal richtig lachen wollt, dann sucht mal nach Bildern von Sean Connery im Film „Zardoz“. Euch erwartet eine Mischung aus Danny Trejo’s Machete und Borat, großartig! 

Aber zurück zur Carnaby Street. Diese entwickelte sich immer mehr zu einem Anlaufpunkt für aufstrebende und ausgefallene Designer und die Zielgruppe wurde immer breiter. Die wohl bekannteste Designerin, die dann in den 1960er Jahren die Carnaby Street berühmt machte, war Mary Quant, die Erfinderin des Mini-Rocks. Dieser wiederum machte das extrem magere, damals 16-jährige Model Twiggy weltbekannt. 

Das bunte Treiben in Soho rund um die bekannte Einkaufsstraße zog natürlich auch Musiker an, darunter The Who und die Rolling Stones, die hier nicht nur arbeiteten, sondern auch auch einkauften und ein soziales Umfeld aufbauten. 

Heute ist leider nicht mehr so viel des ursprünglichen Charmes geblieben, denn wie so häufig wurden die ausgefallenen Boutiquen mittlerweile durch Filialen großer Ketten ersetzt und auch wenn die Gegend immer noch ein quirliger Ort ist, sind die Swinging Sixties natürlich mittlerweile nur noch eine blasse Erinnerung. Aber immerhin sind noch einige ausgefallenere Geschäfte und Designer zwischen den üblichen Modemarken zu finden. 

Uns zog es weiter Richtung Camden Town. Auch dieser Stadtteil ist berühmt für seine Künstlerszene und immer wieder einen Besuch wert. Wenn man in Camden aus der Metro steigt ist man direkt mitten im Geschehen. Schon auf der Camden High Street finden sich unzählige kleine Shops mit aufwändig dekorierten Fassaden und neben Designern und Künstlern ist auch dieses Viertel besonders für seine Musiker bekannt. Eine Ikone von Camden war die 2011 verstorbene Sängerin Amy Winehouse, die leider nicht nur für ihre außergewöhnliche Stimme und ihr schrilles Auftreten, sondern auch für ihre Drogenexzesse bekannt war und traurigerweise durch ihren frühen Tod im Alter von nur 27 Jahren neben Jimi Hendrix, Janis Joplin, Kurt Cobain und vielen anderen großen Musiker ein Mitglied des sogenannten 27 Club ist. 

In Camden kann man so richtig versumpfen, denn hier gibt es den riesigen Camden Market, bestehend aus verschiedenen einzelnen Marktbereichen in denen von Antiquitäten über ausgefallene Kleidung, Schmuck, Kunsthandwerk und natürlich allerlei Souvenirs alles mögliche an unzähligen kleinen, größtenteils fest installierten Marktständen angeboten wird. Man taucht hier regelrecht in eine andere Welt ein und schwimmt ohne Orientierung durch die vielen kleinen Gassen vorbei an den teils ausgeflippten Verkaufsständen. Ohne Schwierigkeiten kann man hier einen ganzen Tag verbringen und dabei wahrscheinlich trotzdem nicht alles sehen… 

Aber auch hier hat der Kommerz in den letzten Jahren zugeschlagen. Ursprünglich gestartet als sonntäglicher kleiner Kunsthandwerkermarkt entwickelte sich in den folgenden Jahren ein gewaltiger Komplex aus Marktständen, der mittlerweile jede Woche eine Viertelmillion Besucher anzieht. Ich war schon oft hier und seit meinem letzten Besuch wurden aus den damals noch erkennbar alten Stallungen, in denen schrullige Antiquitätensammlungen zum Verkauf angeboten wurden mittlerweile durchprofessionalisierte und modern gestaltete Shops. 2014 ist eine israelischer Investor im großen Stil im Camden Market eingestiegen und hat hier die ehemals noch sehr urigen Stallungen und Verkaufsalkoven umfassend renoviert.

Es macht trotzdem auch heute noch sehr viel Spaß durch die engen Gassen zu schlendern und die ausgefallenen Waren zu bewundern. Wie gesagt, ein Besuch in Camden lohnt sich! 

Nachdem wir uns an einem der vielen Street Food Stände noch eine kleine Stärkung genehmigt hatten fanden wir den Weg aus dem Camden-Labyrinth wieder heraus und fuhren mit der Metro zum Themse-Ufer, genauer gesagt zur Tower Bridge. 

Die Tower Bridge ist ein ziemlich beeindruckendes Bauwerk, denn die 244 Meter lange Brücke ist im unteren Teil aufklappbar um große Schiffe hindurchfahren zu lassen und kann dabei gleichzeitig in einer Höhe von 43 Meter von Fußgängern überquert werden. Für dieses kleine Abenteuer, muss man allerdings erst mal 34 Meter Höhenunterschied auf steilen Treppen in den äußeren Türmen überwinden. 

Während des späten 19. Jahrhunderts hatte London bereits ein Verkehrsproblem und benötigte dringend im Osten der Stadt eine zusätzliche Möglichkeit, die Themse zu überqueren. Da zu dieser Zeit allerdings noch Hafenanlagen zwischen dem Tower und der London Bridge in Nutzung waren musste weiterhin sichergestellt werden, dass die Schifffahrt Zugang zum Hafengebiet hatten. Es kamen also nur ein Tunnel unter der Themse oder eine bewegliche Brücke in Frage. Einen Tunnel gab es übrigens wirklich, der wurde kurzzeitig als U-Bahn- und später nur noch als Fußgängertunnel genutzt. 

Für die Brücke gab es ab 1876 eine öffentlich Ausschreibung, aber trotz der über 50 Einreichungen für einen Entwurf tat sich das extra gegründete Komitee schwer und kam erst 1884 zu einer Entscheidung. 

Der Bau der Brücke dauerte 8 Jahre und beschäftigte 432 Arbeiter, die 11.000 Tonnen Stahl verbauten. Zusätzlich wurden die beiden Brückenpfeiler mit Kalkstein verkleidet und geben noch heute der Tower Bridge ihr charakteristisches Aussehen. 

Der Stadtbaumeister Horace Jones, dessen Vorschlag bei der Ausschreibung schließlich gewann (er saß zufällig auch in der Jury, aber ein Schelm wer Böses denkt…), starb übrigens ein Jahr nachdem die Bauarbeiten begonnen hatten und konnte so seine Brücke nie selbst bewundern. 

Da die hoch über dem Wasser gelegene Fußgängerbrücke schnell ein Anziehungspunkt für Prostituierte und Taschendiebe wurde, schloss man diese und öffnete sie erst über 70 Jahre später wieder für die Öffentlichkeit. Heute ist auf der oberen Brücke ein Museum untergebracht. 

Auch heute wird die Brücke immer noch für den Schiffsverkehr geöffnet, allerdings nur für sehr große Schiffe. Eine Öffnung für kleinere Schiffe gibt es nur noch in ganz besonderen Fällen und diese gilt als besondere Ehre, wie zum Beispiel für den Trauerzug von Winston Churchill 1965, das 60. Thronjubiläum von Queen Elisabeth II. im Jahr 2012 oder die Heimkehr des Einhand-Weltumseglers Francis Chichester 1967. Übrigens führt auch heute noch eine wichtige Hauptverkehrsader über die Tower Bridge. 

Bei Touristen ist die Brücke besonders beliebt und wurde im vergangenen Jahr von fast einer Milliarde Menschen besucht. Wir setzten uns eine Weile an die schön angelegte Promenade mit Blick auf die Brücke und beobachteten Touristen aus aller Welt, die ungewollt komisch für Fotos posierten. Ein asiatisches Pärchen versuchte mit möglichst coolen Gangster-Posen das perfekte Bild zu schießen, während eine arabische Mutter ihrer Teenager-Tochter zeigte, wie man professionell posiert. Es war herrlich anzusehen und ganz nebenbei konnten wir unsere mittlerweile ziemlich müden Beine ein wenig ausruhen. Wir machten natürlich, inspiriert durch die Menschen um uns herum, auch noch ein paar witzige Selfies. 

Direkt hinter der Tower Bridge liegt übrigens das St. Catherine’s Dock, der Yachthafen, den wir eigentlich mit der Krassy anlaufen wollten. Diesmal hat bei uns das Wetter nicht mitgespielt, aber ein Besuch dieses Hafens auf eigenem Kiel bleibt weiterhin auf unserer Bucket List. 

Die Marina ist nicht nur wunderschön gelegen, sie ist auch gut geschützt und mit ihrer Lage mitten in London selbstverständlich unschlagbar. Eine Nacht kostet hier übrigens ca. 150 Pfund, aber das ist es wert. 

Wir spazierten am Nordufer der Themse zurück Richtung Zentrum und überquerten den Fluss dann wieder über die relativ neue Millenium-Bridge, eine Fußgängerbrücke direkt unter der Kuppel der St. Paul‘s Cathedral, die übrigens auch im 7. Harry Potter Film vorkommt und dort von den Todessern zerstört wird. Harry Potter ist in London allgegenwärtig, an jeder Ecke gibt es Attraktionen und spezialisierte Shops. Erstaunlich, denn zu den Zeiten als die Bücher gerade herauskamen war der Hype noch nicht so groß…

Wir setzten uns noch mal auf eine Bank, denn mittlerweile taten uns beiden ordentlich die Füße weh, genossen noch ein wenig die Aussicht auf die Stadt und suchten uns dann einen netten Pub in der Nähe unseres Abfahrtsbahnhofs für ein letztes Pint in London. 

Die Pub-Kultur gefällt uns übrigens beiden sehr, sehr gut. Die Briten treffen sich hier nach Feierabend und trinken mit ihren Kollegen noch ein Bierchen, quatschen über Gott und die Welt und gehen dann nach Hause. Es ist nicht so, dass die Pubs reine Besäufnis-Schuppen sind, eher sind es soziale Anlaufstellen. Man kennt sich hier, denn die meisten Leute haben scheinbar einen Stamm-Pub und man sieht dort neben den vielen jungen, aufstrebenden Business-Typen, die auf ein Feierabendbier kommen auch viele ältere Menschen, die sich mit Freunden treffen oder sogar Familien, die mittags hier essen. Pubs sind für Jedermann und strahlen eine urige Gemütlichkeit aus.

Am Ende des Tages zeigten unsere Schrittzähler das stolze Ergebnis von 26.000 Schritten an und zurück auf der Krassy fielen wir direkt in unsere Koje. Der Wind hatte zum Glück mittlerweile nachgelassen und so war die Nacht angenehm ruhig. 

Heute macht der Wind eine kurze Atempause und es wäre theoretisch eine Möglichkeit für uns gewesen weiter in Richtung Solent zu kommen, aber es regnete fast den ganzen Tag wie aus Eimern und so beschlossen wir noch etwas zu bleiben. Dieses Segelrevier ist nicht ganz einfach, wenn man in Richtung Westen unterwegs ist, denn man ist gezwungen auch mal auf ein paar Tage abzuwarten. Die vorherrschende Windrichtung ist nunmal West, also müssen wir immer die Lücken abpassen. 

Noch dazu gab es ja noch das Problemchen mit dem Kabel, das aus der Mastnut gerutscht ist. Als der Regen vorhin nachließ und noch bevor wieder der Wind einsetzte musste Christian also noch mal hoch in den Mast. Aus einem Stückchen Holz, das genau in die Mastnut passt und zwei Schrauben darauf baute er sich ein Werkzeug um das Kabel zurück an seinen Platz zu schieben. Etwa jeden halben Meter bekam das Kabel dazu noch ein paar Umwicklungen mit Kautschukband, damit es etwas dicker ist und nicht mehr herausrutschen kann. Ich zog Christian also Stück für Stück den Mast hoch und er stopfte vorsichtig das Kabel zurück an seinen Platz. Das Ganze dauerte natürlich eine Weile. 

Heute war der Tag ansonsten unspektakulär. In einer kleinen Regenpause liefen wir zu dem kleinen, aber gut ausgestatteten Bootsausrüster hinrüber und ansonsten versuche ich schon den ganzen Tag diesen Blogbeitrag fertig zu schreiben. Den hatte ich ja eigentlich für heute früh versprochen… 

Irgendwie ist der Tag jetzt einfach so weggeplätschert und gleich müssen wir uns auch schon wieder fertig machen, denn wir haben für heute Abend noch Kinokarten. 

Written by 

4 thoughts on “Großstadtgeflüster – ein Tag in London

    1. Lieber Hajo,
      das freut uns aber sehr! ☺️
      Tatsächlich gibt es auch am Nordufer einen kleinen Spazierweg. Den kannte ich bis dahin auch noch nicht, aber er führt direkt am Wasser entlang. Auf der Südseite ist die große Promenade, aber man kann auch diesen kleinen Weg auf der Stadtseite nehmen.
      Liebe Grüße!

  1. Wir warten auch immer gespannt auf Neuigkeiten! London kenne ich noch von einer Oberstufenfahrt, ich würde gerne mal wieder hin! Wir waren gestern mit dem Rad im Hammehafen und anschließend in Melchers Hütte, also auch an einem Fluss, nur nicht so spektakulär, aber mit lecker Moorbier. 😉 Armin lässt nochmal extra grüßen, er lacht immer noch aus eigener Erfahrung über das vergessene Handtuch vom 15.8.

    1. London ist auf jeden Fall immer wieder eine Reise wert! Tolle Stadt 🤩
      Moorbier klingt ja interessant…
      Ja, das mit dem Handtuch passiert mir nicht noch mal 😂🫣 liebe Grüße zurück!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.