Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

Eastbourne, Großbritannien

Wir hatten doch gestern gesagt, dass wir uns noch ein schönes Abendessen nach dem wilden Ritt durch den Dover Strait gönnen wollten, richtig? Tja, daraus wurde nicht so richtig was… Aber ich fange mal von vorne an. 

Direkt neben der Marina in Boulogne-sur-Mer fand dieses Wochenende eine große Kirmes statt. Als wir in die Marina kamen war es noch recht ruhig, wenig später drehten die Fahrgeschäfte aber die Lautstärke auf, dazu mischte sich das aufgeregte Kreischen von Teenie-Mädchen, die sich auf den verschiedenen Karussellen ordentlich durchschütteln ließen. Kirmes-Geräusche eben. 

Ich hatte es mir nach einer wohlverdienten Dusche gerade im Cockpit gemütlich gemacht und einen Podcast eingeschaltet als ein weiteres, sehr lautes Geräusch dazu kam. Ein Motorrad-Korso zog durch die Stadt. Ich könnte schwören, die müssen entweder die ganze Zeit im Kreis gefahren sein oder ganz Frankreich war plötzlich in Boulogne um dort Motorrad zu fahren. Es dauerte fast eine Stunde, bis das Brummen und Dröhnen der Motorräder endlich versiegte. Meinen Podcast hatte ich längst wieder ausgeschaltet, keine Chance auch nur einen vollständigen Satz zu verstehen… 

Nach dem anstrengenden Vormittag hatten wir es ruhig angehen lassen und es uns erst mal im Cockpit gemütlich gemacht. Relativ früh bekamen wir dann allerdings Hunger und beschlossen in die Stadt zu spazieren. Auf eine große Spazierrunde hatten wir keine Lust also befragten wir vorher noch schnell unseren Freund Google, wo denn hier nette Restaurants zu finden wären. Restaurants gab es jede Menge, aber leider alle geschlossen. Wie bitte??? Sonntagabend und alle Restaurants geschlossen?! Wir dachten wir sind hier in Frankreich, der kulinarischen Weltklasse. 

Wir fanden einen Burger-Laden, der laut Google geöffnet sein sollte und nicht zu weit vom Hafen entfernt war. Also los. Wir schleppten uns an der Kirmes vorbei zu dem Laden und liefen erst mal dran vorbei. Hä? Na gut, noch mal Google fragen. In der Zwischenzeit hatten wir eine Boulangerie, also eine französische Bäckerei entdeckt, die zufällig noch offen war. Ich bestellte in meinem etwas wackeligen Französisch Baguette und ein total lecker aussehendes Brioche-Brot mit Erdbeerstückchen drin, die wir schon mal als Frühstück für morgen einpackten. 

Den Burger-Laden fanden wir noch, war aber geschlossen. Jetzt ging unsere verzweifelte Suche los. Mit knurrendem Magen und müden Beinen schleppten wir uns kreuz und quer durch Boulogne um ein Restaurant zu finden. Wir wären inzwischen sogar mit einem Fast Food Laden oder einer Dönerbude einverstanden gewesen, aber selbst die waren alle geschlossen. Was stimmt eigentlich nicht mit den Franzosen?! 

Da uns nichts anderes mehr übrig blieb um eine warme Mahlzeit zu bekommen gingen wir zu der Kirmes. Hier musste es doch was zu essen geben, bei uns besteht eine gute Kirmes aus 50% Fressbuden und 50% Fahrgeschäften. Nicht so in Frankreich. Hier gab es nur einen einzigen Stand, der Pommes und Burger verkaufte, der Rest war im besten Fall Süßkram. Unglaublich.

Unser schickes französisches Abendessen bestand also aus Kirmes-Pommes und einem etwas zweifelhaften Burger… Es war aber lecker und machte satt. 

Wir waren völlig erledigt und das fettige Essen hatte unseren Zustand nicht verbessert, aber ein bisschen Routenplanung stand noch auf unserem Zettel. Dummerweise zeichnete sich ein gutes Wetterfenster für die Querung des englischen Kanals ab. Das hieß allerdings, dass wir morgens um spätestens 7 Uhr los müssten. Noch mal früh aufstehen also und diesmal für eine deutlich längere Strecke. Wir wägten unsere Optionen ab und kamen zu dem Schluss, dass das einfach eine zu gute Gelegenheit wäre. Noch dazu hatte Christian einen perfekten Plan ausgetüftelt. 

Wir gingen also sehr früh schlafen und hörten vor Müdigkeit sogar kaum noch das Wummern der Kirmes. Um 6 Uhr klingelte der Wecker schon wieder und diesmal sprang ich nicht so ausgeschlafen aus meiner Koje wie am Tag zuvor. 

Wir fuhren in der Dämmerung los, es war kaum Wind und die See war ein wenig kabbelig. Nicht schlimm aber genug für mein unausgeschlafenes Ich sich für eine Reisetablette zu entscheiden. Kaum waren wir auf Kurs fiel ich in einen totengleichen Tiefschlaf und verbrachte die nächsten drei Stunden tief im Lummerland während Christian die Krassy unter Motor entlang des Verkehrstrennungsgebiets (VTG) Richtung Süden steuerte. Als der versprochene Wind einsetzte waren wir weit genug südlich um das VTG zu queren. Dazu muss man wissen, dass man diese speziell gekennzeichneten Verkehrswege nur im rechten Winkel durchqueren darf. Das VTG besteht aus 3 Zonen: eine, die nach Norden befahren werden muss, eine Trennzone und eine Zone, die nach Süden zu befahren ist, also ähnlich wie eine Autobahn, nur dass jede Zone ca. 5 Seemeilen breit ist. Beim Queren eines VTG muss man sehr genau aufpassen keinen großen Frachtern vor die Nase zu fahren und sich streng an die Regeln halten. Diese Gebiete werden gut überwacht und hier kann man sich schnell mal per Funk einen Rüffel einfangen. 

Für uns stand der Wind jetzt genau richtig, um das VTG unter Segeln zu queren und dank Christians genialer AIS-App konnten wir immer sofort sehen, ob uns eines der großen Schiffe in die Quere kommen könnte. Unsere Überfahrt zur anderen Seite lief also ziemlich problemlos, dauerte aber aufgrund der langen Distanz von einer zur anderen Seite noch mal etwas über 3 Stunden. 

Auf der anderen Seite angekommen hatten wir damit gerechnet mit der mitschiebenden Strömung  die letzten 20 Seemeilen nach Eastbourne gegen den Wind aufkreuzen zu müssen. Wir setzten also unseren Kurs und siehe da, wir mussten gar nicht kreuzen, sondern flogen mal wieder wieder wie auf Schienen mit ordentlich Speed auf unser Ziel zu. Christian‘s Plan war perfekt aufgegangen! 

In Eastbourne muss man erst mal durch einen sehr schmalen Kanal, der zu einer Schleuse führt. Durch die Schleuse kommt man dann in die riesige Marina. Per Funk meldet man sich vor der Schleuse an und während des Schleusens bekommt man dann auch gleich einen Liegeplatz zugewiesen. Super organisiert! In der Schleuse lag hinter uns ein kleines Schlauchboot mit einem sympathischen Typ, der seinen älteren Vater und seine Tochter dabei hatte. Wir kamen gleich mit den dreien ins Schnacken und mussten mal wieder den krassen Unterschied zwischen den immer super netten Engländern und den irgendwie oft ein bisschen eigenwilligen Franzosen feststellen. Wir freuen uns sehr jetzt in England zu sein! 

Morgen soll es hier im Kanal sehr windig werden und nach den letzten zwei Tagen haben wir uns einen Hafentag mehr als verdient. Die Wäsche will dringend mal gewaschen werden, wir haben noch ein paar kleine Projektchen an Bord und natürlich wollen wir uns auch Eastbourne noch etwas ansehen. Nach nur zwei Wochen unterwegs sind wir jetzt schon in England. Kaum zu glauben, wie schnell gerade alles geht. 

Written by 

2 thoughts on “Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

  1. Meine LieblingsreiseliteratuR
    auf Platz 3 : Bill Bryson Frühstück mit Kängurus und Picknick mit Bären
    Auf Platz 2: Paul Theroux mit Dark Star Safari

    Und auf Platz 1:
    KRASSY BLOG
    Beste Unterhaltung aus feinstem Seemannsgarn
    Dankeschön schon mal dafür !

    1. Na das ist ja mal ein Kompliment, das das Herz erwärmt ❤️
      Platz 2 und 3 kommen jetzt aber auf jeden Fall auf meine Leseliste!
      Ganz viele liebe Grüße von uns beiden!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.