Boulogne-sur-Mer, Frankreich
Gestern hatten wir entschieden erst mit der späten Gezeit loszufahren, denn wir wollten nur die 15 Meilen nach Dünkirchen rüberhuschen und sowohl der Wind als auch die Strömung setzten erst nachmittags für uns passend ein. Den Vormittag nutzten wir noch für einen Besuch beim Ausrüster in Nieuwpoort und kauften ein paar Sachen für die Krassy ein, die noch auf unserer Liste standen.
Unsere kurze Fahrt über die französisch-belgische Grenze war nicht einfach nur Champagnersegeln, es war Champagnersegeln mit Kaviar. Na gut, in Wirklichkeit gab‘s den Rest Wurstgulasch vom Vortag, aber wir wollen hier mal nicht so kleinlich sein…
Es war einfach großartig! Wir hatten praktisch keine Wellen, 3-4 Windstärken und die Krassy fuhr wie auf Schienen während wir nur aufpassen mussten keins der vielen anderen Boote über den Haufen zu fahren, die das Wochenend-Premium-Wetter ebenfalls zum Segeln nutzten. Wir wollten gar nicht ankommen und hätten am liebsten vor Dünkirchen noch ein paar Kreise gezogen, aber bis wir dort waren war es bereits 18 Uhr, also rein in den Hafen.
Wir haben zu Dünkirchen eher gemischte Gefühle, denn der Ort ist erstens nicht wirklich schön und zweitens ist uns dort bei der letzten Reise der Motor abgeraucht und wir hingen erst mal fest. Gestern gingen wir also gar nicht erst von Bord. Das hatte aber auch noch einen anderen Grund.
In Gezeitenrevieren kann man sich nicht immer aussuchen, wann man losfahren möchte. Viele mögen das gar nicht und vor allem wenn man die Ostsee gewohnt ist fällt es sehr schwer sich auf ein Gezeitenrevier einzustellen. Wir hatten damit zu Anfang auch Probleme, vor allem als wir mit der Krassy nach Cuxhaven umzogen. Aber Gezeiten haben auch ihre Vorteile und wenn man sie zu nutzen weiß, dann kann man aufregende Segeltage erleben. Wir erlebten so einen Tag heute.
Wie gesagt, die Abfahrtzeiten kann man sich nicht immer aussuchen. So klingelte unser Wecker heute gnadenlos früh um 04:30 Uhr. Als sich gestern Abend noch ein belgisches Boot bei uns ins Päckchen legte hatten wir sie vorgewarnt, aber die Crew wollte dann eben auch mit aufstehen. Okay.
Christian hatte gestern den ganzen Tag über die Gezeitentabellen, Seekarten und Wettervorhersagen studiert und immer wieder hin und her gewälzt, aber es blieb dabei, dass es unsere beste Chance wäre heute ganz früh mit der Gezeit Richtung Boulogne-sur-Mer zu starten. Zum Nachmittag sollte der Wind drehen, bis dahin müssten wir unbedingt um das Cap Gris-Nez herum gekommen sein, denn sonst bekämen wir nicht nur den Wind auf die Nase, sondern auch eine ordentliche Strömung. Also mussten wir möglichst früh raus.
Erstaunlicherweise fiel mir das frühe Aufstehen heute gar nicht so schwer wie befürchtet. Ein Zeichen, dass langsam der Urlaub wirkt, denn wer mich kennt, der weiß dass früh aufstehen so gar nicht mein Ding ist… Ich bin ein genetisches Murmeltier.
Noch im Dunkeln machten wir (und zwangsweise auch unser Nachbarboot) pünktlich um 5 Uhr die Leinen los. Der Nachbar meinte noch „oh, Boulogne, na da seid ihr ja den ganzen Tag unterwegs!“. Er sollte falsch liegen.
Zu Beginn lief noch unser Motor, denn wir konnten es uns heute nicht erlauben zu langsam unterwegs zu sein. Pünktlich zum Sonnenaufgang hatte der Wind aber schon gedreht und vor allem aufgedreht. Wir konnten Segeln.
Hart am Wind rauschten wir durch die erstaunlich aufgewühlte See. Die Strömung gab uns einen Extra-Booster und so beschleunigte die Krassy in kurzer Zeit auf Warp 9. Unsere kleine Rakete schoss nur so dahin.
Strömung von hinten ist geil, dabei Wind von vorne allerdings nicht. Wenn dann noch ein Kap-Effekt dazu kommt, dann ist Spaß im Glas. Es ging auf der Krassy zu wie im Schleudergang, allerdings als Kaltwäsche mit extra viel Salz. Wir rumpelten durch die Wellen und unter Deck wurden die Inhalte aller Schränke einmal neu sortiert. Selbst die Backofentür klappte irgendwann auf…
Wie immer in solchen Bedingungen saß ich am Ruder, denn das ist die beste Möglichkeit nicht seekrank zu werden. Nachteil ist dabei allerdings, dass der Rudergänger auf der Krassy immer die überkommenden Wellen abbekommt. Christian saß breit grinsend unter der Sprayhood und freute sich wie ein 5-jähriger an Weihnachten. Irgendwann bemerkte ich dass sich vor uns die See verändert hatte. Aufgrund der Topographie unter Wasser hatten sich ein paar stehende Wellen gebildet. Nichts schlimmes, aber in seiner Freunde kam Christian in diesem Moment nur auf die Idee unsere wilde Fahrt und die stehenden Wellen durch die Windschutzscheibe zu filmen. Waren eben auch ein paar kompetente Wellen.
Tja, was soll ich sagen, diesmal bekam nicht nur ich eine Welle ab! Ein riesiger Brecher überspülte das gesamte Vordeck inklusive der Aufbauten, klatschte über die Sprayhood hinweg und ergoss sich über das gesamte Cockpit. Leider war Christian ja mit Filmen beschäftigt, der Niedergang war also offen, Seekarten, Logbuch, unsere (zum Glück wasserdichten Handys) und der gesamte Kartentisch unter Deck wurden geflutet und wir waren beide komplett nass. Das Video ist übrigens ziemlich cool geworden, könnt ihr euch bei Instagram ansehen. Wir mussten allerdings den Originalton überblenden, unser Fluchen war in diesem Moment nicht ganz jugendfrei…







Auch wenn das ganz schön übel klingt, wir haben lange nicht mehr so herzhaft gelacht! Außer, dass unser Logbuch und die Seekarte aufgeweicht sind und Christian jetzt alles – also wirklich alles – was bei uns auf dem Kartentisch lag mit Frischwasser abwaschen muss, ist nichts passiert. Nach dieser einen Monsterwelle kam keine weitere mehr von diesem Kaliber und als es ruhiger wurde ging ich nach unten um mir trockene Sachen anzuziehen.
Gerade als wir das Kap gerundet hatten begann die Strömung gegen uns zu setzen und so eierten wir die letzten zwei Stunden vorm Wind gegen die Gezeit an (wieder Wind gegen Strom, diesmal andersherum). Ehrlich gesagt, vertrug mein Magen die letzen Meilen vor Boulogne sehr viel schlechter als die wilde Fahrt ums Kap und so war ich ganz froh, als wir pünktlich um 12 Uhr in Boulogne-sur-Mer festlagen.
Die kurze Nacht sitzt uns schon noch ein bisschen in den Knochen also machen wir uns jetzt einen gemütlichen Nachmittag, wischen das Salz vom Kartentisch und gönnen uns später noch in der Stadt ein schönes Abendessen. Jetzt muss ich aber erstmal ein paar Seekarten bügeln…