Nieuwpoort, Belgien
Da wir jetzt wieder voll im Gezeitenrevier sind können wir nicht mehr ganz so frei entscheiden, wann wir morgens die Leinen los machen. Heute meinte es die Gezeit gut mit uns und wir konnten ausschlafen, ganz gemütlich frühstücken und hatten dann noch ausreichend Zeit um ein bisschen rumzutüdeln (das machen wir ja besonders gerne…). Das passte uns auch ganz gut, da es den ganzen Morgen lang geregnet hatte. Wir segeln ja gerne, aber in strömendem Regen aus dem Hafen zu fahren ist echt nicht unser Ding.
Gegen 14 Uhr verließen wir den Hafen und blieben zum Glück für den Rest des Tages trocken. Gestern hatte es ordentlich aus Südwest geweht und auch die Nacht hindurch und heute Vormittag war es noch ziemlich windig. Ich hatte also ein wenig Sorge, dass es dadurch vielleicht mehr Seegang geben könnte. Für das bisschen Wind, das vorhergesagt war wäre das fatal gewesen, denn wenig Wind und viel Welle sind eine ganz fiese Kombination. Ich warf mir also prophylaktisch eine Reisetablette ein. Die knockte mich auch gleich mal für ein paar Stunden aus.
Die blöden Tabletten machen einen so furchtbar müde, dass man kaum die Augen offen halten kann. Da tut die Müdigkeit fast schon weh.
Die See war gar nicht so wild wie befürchtet und wir mussten auch nur ein paar wenige Kreuzschläge gegen den Wind machen bis dieser drehte und uns total entspannt über die belgische Grenze wehte. Es wurde Zeit die niederländische Gastlandflagge durch die belgische zu ersetzen und so wir dümpelten wir mit lauem Wind an Zeebrügge und Oostende vorbei bis nach Nieuwpoort. Zum Ende des Tages schlief uns dann doch noch der Wind ein, aber insgesamt war es ein sehr schöner Segeltag!



In Nieuwpoort bin ich auf unserer Rückreise 2018 meinen legendären Anleger unter Segeln gefahren, denn als wir damals hier ankamen war unsere Zylinderkopfdichtung hinüber und wir wollten und konnten den Motor nur noch für kurze Manöver nutzen. Der Hafen hier ist so geräumig, dass die Gelegenheit damals günstig war und ich bin bis heute ein bisschen stolz darauf, dass ich die Krassy auch ohne Motor sicher an einen Steg gefahren und abgebremst bekommen habe.
Jetzt liegen wir wieder fast am gleichen Platz wie damals. Da es recht windstill war machten wir einen kurzen Versuch ausnahmsweise mal rückwärts in die riesige Box zu manövrieren, aber die Krassy hatte dazu heute so gar keine Lust. Sie war bockig und wollte ihr Hinterteil einfach nicht zwischen die Stege bewegen. Also legten wir doch wie üblich vorwärts an.
Da wir wahrscheinlich nur heute in Belgien sind wollten wir eigentlich noch gern ein paar Waffeln essen. Christian bekam nach einem netten Gespräch mit dem Hafenmeister nicht nur ein Lob für sein gutes Holländisch (mit niederländischem Akzent, wie der Hafenmeister bemerkte), sondern auch die Schlüssel für zwei Fahrräder.
Die Marina hier in Nieuwpoort ist RIESIG! Unseren gar nicht mal so kleinen SVC-Hafen könnte man hier locker fünfmal unterbringen. Die Stege sind alle extrem breit und auch in den Boxengassen ist viel Platz zum manövrieren. Neben dem Hafenmeisterbüro gibt es sogar einen Tennisplatz. Leider liegt der Hafen aber dafür etwas abseits vom Ort und so kamen uns die Fahrräder natürlich sehr gelegen.
Ich hatte heute schon unterwegs ein Abendessen gekocht, dass wir schnell verputzten um uns unseren Nachtisch im Ort zu organisieren. Auch dafür hatten wir unterwegs schon mal eine Adresse rausgesucht. Wir schwangen uns also auf die wirklich tollen Fahrräder und radelten los. Der Eisladen, der eigentlich auch belgische Waffeln verkaufen sollte, war aber leider im Sommer-Modus und so gab es nur Eis. Schade, aber das war auch sehr lecker.
Nach dem Eis beschlossen wir, uns jetzt auch Nieuwpoort noch mal genauer anzusehen, denn bei unserem letzten Besuch hatten wir wenig Sinn für den Ort gehabt. Wir waren damals nur bei den Service-Betrieben für Bootsmotoren in Hafennähe gewesen und sind dann gleich am nächsten Morgen weitergesegelt.
Wir fietsten also los und was soll ich sagen? Nieuwpoort ist wunderschön! Dieser Ort ist so hübsch und gemütlich, dass wir aus dem Staunen kaum heraus kamen. Die vielen kleinen Häuschen haben mittelalterlich anmutende Fassaden, wirken dabei aber trotzdem neu und gepflegt. Die gepflasterten Straßen sind sauber und überall sind nette Restaurants, Cafés, Bars und Brasserien. Der Ortskern wird von einer bombastischen Kirche dominiert, die man fast schon als Kathedrale bezeichnen kann und entlang einer kleinen Promenade mit vielen tollen Restaurants bekommt man das Gefühl in einem schicken Ort am Mittelmeer gelandet zu sein. Wir sind begeistert von Nieuwpoort und falls ihr mal hier in der Nähe seid, dann kann ich nur empfehlen, diese Stadt unbedingt mal zu besuchen. Sie ist die Reise allemal wert.





Auch die Geschichte von Nieuwpoort ist interessant. Die Stadt wurde im 11. Jahrhundert von einem Mann mit dem wunderbaren Namen „Robrecht der Friese“ zunächst als Sandhoven gegründet. Den Namen Nieuwpoort bekam sie erst später. Über die Jahrhunderte wurde Nieuwpoort mehrmals zerstört, meistens durch Kriege oder Belagerungen.
Im späten 16. Jahrhundert fanden hier in Nieuwpoort einige Hexenprozesse statt in deren Folge 15 Frauen und 2 Männer wegen Hexerei verurteilt und auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurden. Erst im Jahr 2012 wurden diese Menschen posthum rehabilitiert, ihre Geschichte prägt die Stadt aber bis heute. Der heute bekannteste Prozess aus dieser Zeit wurde gegen eine Frau namens Jeanne Panne geführt, die wahrscheinlich aufgrund einer Epilepsie Visionen hatte und somit als Hexe verurteilt, gefoltert und verbrannt wurde. Ihr hat die Stadt sogar ein Denkmal errichtet.
Aufgrund seiner strategisch wichtigen Lage spielte Nieuwpoort natürlich auch in den beiden Weltkriegen eine wichtige Rolle. Interessant fand ich, dass die Belgier 1914 die Stadt komplett fluteten indem sie bei Hochwasser die Seeschleusen öffneten und so die deutschen Invasoren zurückdrängen konnte. Ein schmerzhaftes Opfer für die Rettung ihrer Stadt.
In Nieuwpoort gibt es auch eine jährliche „Riesenparade“ bei der Figuren, von denen die größte über 10 Meter hoch ist in einer Parade durch die Stadt ziehen. Das muss ein echtes Spektakel sein! Für die größte Figur werden 24 starke Männer gebraucht, die unter dem Rock des Riesen versteckt sind und diesen durch die Stadt tragen. Beeindruckend!
Wie gesagt, wir waren wirklich überrascht, wie viel diese kleine Hafenstadt zu bieten hat. Von See aus sehen die belgischen Strandorte alle aus wie grauenhafte Bettenburgen, aber es lohnt sich hier auch mal hinter die Fassaden zu schauen. In Nieuwpoort kann man sich leicht verlieben.