Little Bay, Montserrat
Montserrat ist etwas ganz besonderes. Nach einer unerwartet schönen Überfahrt von Antigua umrundeten wir die Nordspitze von Montserrat und ankerten dann in der Little Bay, die ihrem Namen alle Ehre macht. Mit drei Booten ist es hier schon ganz schön überfüllt…
Mal wieder hatten wir schlechtes Timing bewiesen, denn mit unserer Ankunft am Samstag mussten wir fürs Einklarieren einen saftigen Wochenendzuschlag zahlen. Bis Montag an Bord zu hocken wollten wir aber auch vermeiden. Schon beim Einklarieren stellten wir fest, dass die Menschen hier offenbar ausgesprochen freundlich sind.
Little Bay ist wie gesagt nicht allzu groß und außer einem scheinbar wenig frequentierten Fähranleger und den Behörden sind hier nur ein paar Cafés und Restaurants an einem kleinen schwarzen Sandstrand. Das ganze ist eingerahmt von saftig grünen Hügeln.










Wir wollten auf Montserrat unbedingt eine kleine Tour machen, denn die Insel hat eine ganz besonders interessante Geschichte. Am Sonntagmorgen gingen wir also an Land um ein wenig die Gegend zu erkunden. Sonntags ist hier alles zu, aber gleich vor den Restaurants am Strand sprach uns ein Taxi-Fahrer an. Sam bietet Rundfahrten in seinem Kleinbus an und wir verabredeten uns für den folgenden Vormittag für eine Inseltour. Jetzt mussten wir bloß noch Bargeld auftreiben… Dummerweise hatten wir nämlich auf Antigua völlig verpennt noch mal ein paar Eastcaribbean Dollars abzuheben und nach kurzem Überschlagen im Kopf kamen wir zu dem Schluss, dass wir die Tour gar nicht würden bezahlen können.
Google Maps (unser treuer Freund), hatte uns schon verraten, dass es auf der Insel genau 2 Geldautomaten gibt. Der, der am nächsten an uns dran lag war etwa eine Stunde Fußmarsch entfernt. Naja, es war Sonntag und wir wollten eh noch was von der Insel sehen. Dass wir die Stunde in der prallen Mittagssonne und stramm bergauf laufen müssten hatte Google verschwiegen… Als wir dann endlich den Geldautomaten erreichten, spuckte der natürlich kein Geld aus! Die Geldautomaten funktionieren offenbar nur mit lokalen Karten, mit ausländischen Kreditkarten muss man in der Bank am Schalter Geld abheben. Toll! Die Bank war natürlich geschlossen.
Unverrichteter Dinge machten wir uns also auf den Rückweg, dankbarerweise diesmal bergab. Immerhin hatten wir unterwegs schon mal einen kleinen Eindruck des Hauptortes von Montserrat bekommen und als kleine Entschädigung für die anstrengende Wanderung entdeckten wir am Straßenrand noch einen kleinen Dinosaurier – oder besser gesagt einen riesig großen Leguan, gespickt mit einem Kamm aus langen Stacheln und einem beeindruckenden Kehlsack am Kinn.
Zurück an Bord gingen wir noch eine Runde Schnorcheln und waren dann für den Rest des Tages ganz schön erledigt…






Jetzt aber erst mal zu Montserrat. Vielleicht wisst ihr bereits, dass im Süden der Insel der mächtige Soufrière-Vulkan thront. Dieser sieht nicht nur bedrohlich aus, er ist es auch. Vor gerade mal 30 Jahren, im Jahr 1995 begann der Soufrière aktiv zu werden. Nur wenige Jahre zuvor, 1989, hatte Hurrikan Hugo die Insel voll erwischt und etwa 90% der Häuser auf der Insel beschädigt. Gerade erst hatte man sich davon erholt und insbesondere die Hauptstadt Plymouth war liebevoll wieder aufgebaut worden und erstrahlte in neuem Glanz.
Nach einigen Erdbebenschwärmen in den letzten Jahren kam es am 18. Juli 1995 mit einer Explosion zum ersten Ausbruch und danach sollte die Insel lange keine Ruhe mehr vor dem Vulkan bekommen. Auf den ersten Ausbruch folgten weitere Erdbeebenschwärme, Explosionen und Ascheregen, der besonders Plymouth von einem bunten, quirligen Ort in eine schwarz-weiße Geisterstadt verwandelte. Schon im folgenden Monat musste der Süden der Insel zum ersten Mal evakuiert werden. Kurz darauf musste die Hauptstadt Plymouth aufgegeben werden und die Menschen wurden in den Norden der Insel evakuiert. Von den ehemals etwa 10.000 Einwohnern Montserrats entschied sich etwa die Hälfte in den folgenden Jahren dazu, ihr Leben hier aufzugeben und die Insel zu verlassen, sodass heute nur noch etwa 5000 Menschen auf Montserrat leben.
Der Vulkan blieb aktiv und brach mit einigen Ruhepausen bis 2010 immer wieder aus und überzog den Süden der Insel mit Asche und Schlammlawinen. Anders als man Vulkane normalerweise kennt, hat der Soufrière kein flüssiges Magma, sondern eine besonders zähe Lava mit der Konsistenz von Zahnpasta. Diese fließt nicht den Berg hinunter, sondern sammelt sich an und bildet auf der Spitze des Vulkans einen sogenannten Dom, der immer instabiler wird, je weiter er anwächst. Gleichzeitig schleudert der Vulkan immer wieder brennende Gesteinsbrocken und Asche in die Luft, die alles in ihrem Umkreis verwüsten. Diese sogenannten pyroklastischen Ströme bewegen sich mit ca. 100 km/h den Hand hinab und zerstören dabei alles, was auf ihrem Weg liegt.
In fünf Phasen über einen Zeitraum von insgesamt 15 Jahren wurde die Insel rund um den Vulkan immer wieder aufs neue verwüstet. Während der ersten Phase zwischen 1995 und 1998 kam es zu einem ersten Domkollaps, bei dem Häuser in einer Entfernung von 2,1km durch fussballgroße Gesteinsbomben zerstört wurden. Neben Plymouth wurden in dieser Phase auch alle Siedlungen auf der Südhälfte der Insel sowie der Flughafen vollständig zerstört und unter einer Ascheschicht von bis zu 12m Dicke begraben. Dank der frühzeitigen Evakuierungsmaßnahmen gab es nur relativ wenige Tote. 19 Farmer waren trotz der Warnungen in ihre Häuser zurückgekehrt und wurden durch die Ausbrüche getötet und die Einwohner des Südens verloren ihr gesamtes Hab und Gut.
Die zweite und längste Phase des Ausbruchs dauerte von 1999 bis 2003 und war besonders verheerend. In dieser Zeit gab es gleich 3 Domkollapse, von denen der letzte 2003 die bereits verwüstete Insel mit weiteren 210 Millionen Kubikmetern Material bedeckte und eine 15 km hohe Eruptionssäule in den Himmel schickte. Ganze 18 Stunden dauerte dieser Kollaps und diesmal wurde auch der Norden unter einer bis zu 15 cm dicken Ascheschicht begraben. Die Bilder des Vulkans vor und nach dem Kollaps sind beeindruckend, denn die gesamte Kuppel fehlt nachdem diese durch die Kraft des Magmas in die Luft geschleudert wurde. In den Tagen vor dem Kollaps hatten schwere Regenfälle vermutlich dazu geführt, dass der instabile Dom noch weiter aufgeweicht wurde, was fatale Folgen für die Insel hatte.
Bis 2010 ging es so weiter, als endlich, nach einem letzten Domkollaps Ruhe einzukehren schien. Die Aktivität des Vulkans ging deutlich zurück und seit dieser Zeit gab es vorerst keine neuen Ausbrüche mehr. Ganz vorbei ist es aber nicht, denn unter der Oberfläche brodelt der Vulkan weiter. Montserrat hat eine umfassende Überwachung aller seismischen Aktivitäten eingerichtet und beobachtet alle noch so kleinen Veränderungen des Vulkans unter anderem durch geodätische Messungen (da kennt sich Christian ja besonders gut mit aus!).
Und was die Insel angeht, so sind etwa 2/3 des Landes nicht mehr bewohnbar. Der gesamte Süden ist eine riesige Sperrzone und alles Leben spielt sich nun im neu aufgebauten Norden ab. Die Sperrzone darf nur mit Sondergenehmigung betreten werden und auch wenn man an der Insel vorbei segelt sollte man einen Sicherheitsabstand von einigen Meilen einhalten. Bei unserem letzten Besuch in der Karibik 2018 waren wir mit ca. 15 Seemeilen an der Insel vorbei gefahren und haben noch sehr deutlich den schwefeligen Geruch des Vulkans wahrnehmen können.
Heute ist die Warnstufe für die Insel auf ein niedriges Level herabgesetzt und die noch vor wenigen Jahren von Asche überzogenen Gebiete sind bereits von der Natur zurückerobert worden. Durch den stetigen Regen auf der Insel ist die Asche so fruchtbar, dass man heute keine graue Staubschicht, sondern eine grüne Savanne sieht. Plymouth liegt natürlich weiter mitten im Sperrgebiet, auch wenn man als Tourist die zerstörte Stadt kurz besichtigen kann. Viel sehen kann man hier wohl nicht mehr, denn nach den vielen Ausbrüchen ist die Ascheschicht so dick, dass von den meisten Gebäuden, wenn überhaupt, nur noch das Dach aus dem Boden ragt.
Wir wollten Plymouth eigentlich besichtigen, aber Sam riet uns davon ab. Die Genehmigung für den Besuch ist sehr teuer und dann hat man gerade mal 15 Minuten Zeit um sich umzuschauen. Die ehemals gut sichtbaren Ruinen sind mit der Zeit völlig überwachsen und so lohnt es sich eher zu einem Aussichtspunkt außerhalb der Sperrzone zu fahren, von wo aus man nicht nur den Vulkan, sondern auch das umliegende Land sehr gut sehen kann. Plymouth ist kaum noch zu erkennen.





















Sam fuhr mit uns über die Insel und zeigte uns neben der beeindruckenden Aussicht über die Sperrzone auch die bewohnten Teile der Insel, brachte uns zum Runaway Ghaut, einer Frischwasserquelle mit einer schönen kleinen Legende. Trinkt man aus der Quelle soll man angeblich garantiert nach Montserrat zurückkehren. Wir nahmen selbstverständlich ein paar Schlucke! Sam erzählte uns unterwegs in breitestem Kreolisch einiges über die Geschichte der Insel und natürlich über den Vulkan und unsere Tour wurde zum Schluss noch mit einem Besuch des Montserrat Volcano Observatory abgeschlossen, wo wir einen eindrucksvollen Film mit Originalaufnahmen aus der Zeit vor, während und nach den Vulkanausbrüchen und viele interessante Informationen zu diesem Thema bekamen.
Montserrat ist auf jeden Fall einen Besuch wert und rückt die eigene Sichtweise auf Verluste und Resilienz noch mal in ein ganz neues Licht. Es ist beeindruckend, wie sich die Menschen hier nach einer solchen Katastrophe zurück in die Normalität gekämpft und gelernt haben, mit der allgegenwärtigen Bedrohung des unberechenbaren Steinhaufens vor ihrer Haustür zu leben.