Kearton‘s Bay, St. Vincent
Eigentlich wollten wir am Samstag mit Gerrit und Nicole einen kleinen Ausflug in den Norden der Insel zu den Dark View Falls, einem Doppel-Kaskaden-Wasserfall machen. Hierfür wollten wir wieder den Bus nehmen und diesmal bis nach Chateaubelair fahren, einem kleinen Ort nördlich von Kearton, von dem aus man nach einem kleinen Spaziergang die Wasserfälle erreichen kann. Da Krassimir am Vortag mit einem Leck im Hochdruckboden aufgewartet war, hing dieser schlaff durch und Nicole und Gerrit mussten uns mit ihrem Dinghy (das, wie wir erfahren haben auf den Namen Pit hört) abholen. Wir ruderten an Land – die Entfernung ist lächerlich kurz und vor dem Strand ist ein kleines Steinriff, das den Außenborder beim An- und Ablanden zerlegen würde – und liefen zur Straße hinauf. Auf St. Vincent gibt es im Wesentlichen nur eine Straße, die um einen Teil der Insel herum verläuft. Hier spielt sich im Prinzip der gesamte Verkehr ab, was die Orientierung zwar einfach macht, allerdings auch zum totalen Verkehrsinfarkt führt, wenn diese eine Straße blockiert ist.
Da unsere Busfahrt am Vortag so gut geklappt hat und wahnsinnig viel Spaß machte, freuten wir uns alle darauf auch heute wieder mit den rasanten Minivans unterwegs zu sein. Die ersten Vans hielten mit quietschenden Reifen am Straßenrand an, als sie uns sahen, fuhren aber direkt weiter, als sie hörten, wo wir hin wollten. Nach Chateubelair fuhr niemand… Wir standen eine ganze Weile in der prallen Sonne herum und warteten auf den nächsten Bus, bis irgendwann einer anbot für uns eine Extra-Tour zu fahren. Die sollte schlappe 28 US-Dollar pro Person kosten, was die nette Obst-Verkäuferin, die an ihrem Stand direkt neben uns das Gespräch verfolgt hatte, dazu verleitete den Taxifahrer wütend in die Holle zu verfluchen. Lautstark ließ sie ihn wissen, dass sein Angebot nichts als Diebstahl sei und er hier die Leute nicht so abzocken sollte! Als der Fahrer kleinlaut wieder abzog erklärte sie uns, dass für diese Fahrt eigentlich 10 Ostkaribische Dollar (also etwa 3 US-Dollar) der übliche Preis sind und regte sich noch mal über ihre geldgierigen Mitmenschen auf. Gute Frau! Wir bedankten uns herzlich bei ihr, vor allem da sie uns geduldig alle Buslinien erklärte und mit uns auf die nächsten Fahrzeuge lauerte.
Irgendwann gaben wir dann allerdings auf. Wir hatten schon ewig an der Straße herumgestanden und entschieden dann gemeinsam, dass wir statt der Busfahrt einen Spaziergang zu dem kleineren Wasserfall hinter der Wallilabou Bay machen würden. Etwa 20 Minuten gingen wir also die Straße entlang, bis wir den Wallilabou Heritage Park, eine kleine, nett angelegte Parkanlage mit einem Wasserfall erreichten. Umgeben von exotischen Pflanzen, Geckos und umherschwirrenden Kolibris spazierten wir durch den kleinen Park und während Gerrit und Nicole sich am offenen W-Lan der Anlage erfreuten (wie leicht Segler glücklich gemacht werden können!), ging Christian in dem eiskalten Wasserfall-Pool ein Ründchen schwimmen.














Anschließend liefen wir an der Straße und vorbei an sattgrünen Hügeln und jeder Menge interessanter Pflanzen wieder zurück zur Wallilabou Bay. Hier finden sich nämlich noch ein paar Attraktionen, die nicht allzu viel mit dem ehemaligen Filmset zutun haben. Einerseits haben Customs & Immigration in den alten Barraken der Filmkulisse ein Büro, in dem Gerrit und Nicole aus St. Vincent ausklarieren wollten und zum anderen gibt es in der Bucht eine kleine Bar, die die beiden schon bei ihrem Besuch vor 15 Jahren kennengelernt hatten. Der alte Wirt Tony, dem diese Bar gehört, ist immer noch da und konnte sich sogar noch an unsere Freunde erinnern. Gerrit packte auch sofort ein altes Foto von Tony und Nicole aus, das die beiden breit grinsend und 15 Jahre jünger hinter Tony‘s Tresen zeigt.
Um uns nicht auf leeren Magen mit Rum Punch abzuschießen, gingen wir noch schnell eine Kleinigkeit essen, Gerrit und Nicole erledigten ihre Formalitäten und dann liefen wir über den schwarzen Sandstrand zur Bar hinüber.
Unser erster Eindruck war – sagen wir mal – verhalten. Die Bar ist überall mit unterschriebenen Flaggen behängt, aber damit nicht genug. Über dem Tresen hing zudem eine stattliche Sammlung (Achtung, kein Scherz!) getragener Unterwäsche! Die Schlüpper und BH‘s in verschiedenen Abnutzungsstadien waren natürlich fast alle durch die Träger signiert und die Sammlung erstreckte sich längst nicht nur auf Damenunterwäsche… Etwas seltsam fanden wir das schon…
Tony selbst ist mittlerweile 75 und wirkte auf den ersten Blick ähnlich kauzig wie die Dekoration in seiner Bar. Er wuselte im Hinterzimmer herum, redete dabei vor sich hin und ignorierte uns erst mal geflissentlich. Wir nahmen trotzdem am Tresen platz und warteten leicht irritiert, bis unser Wirt endlich auftauchte. Während er unsere erste Runde Rum Punch etwas umständlich zubereitete, erzählte er leidenschaftlich von seinem Streit mit einer Gang aus der Nachbarschaft, der offenbar so weit ging, dass hier auch das ein oder andere Mal die Waffen gezogen wurden. Diese Gang soll es auch gewesen sein, die 2016 in der Wallilabou Bay einen deutschen Segler erschossen hat. Dieser Vorfall sorgte auf mehrere Jahre dafür, dass Segler einen weiten Bogen um St. Vincent machten, so auch wir, die 2018 genau aus diesem Grund die Insel mit deutlichem Abstand passierten. Tony war angeblich damals dabei, rief die Polizei und bot sogar den deutschen Behörden an, bei der Aufklärung zu helfen. Er berichtete von einigen haarsträubenden Vorfällen mit seinen ungeliebten Nachbarn, deren Wahrheitsgehalt möglicherweise ein klein bisschen kreativ erweitert worden war. Aber wer weiß, vielleicht haben wir Tony‘s Genuschel auch nicht immer ganz richtig verstanden…
Der Rum Punch mit frisch geriebener Muskatnuss oben drauf schmeckte jedenfalls super und es blieb nicht bei einer Runde. Wir unterhielten uns angeregt und Tony machte mit HIlfe von YouTube auf einem uralten Laptop den DJ und versorgte uns mit Unmengen buttrigem Popcorn, das er in seinem Hinterzimmer zubereitete. Bob Marleys „I shot the Sheriff“ kommentierte er so: „Idiot! Er hätte den Deputy erschießen und anschließend den Sheriff kaufen sollen!“
Als irgendwann noch eine Gruppe polnischer Segler dazu kam und zu einem polnischen Schlagersong, den Tony prompt aufdrehte mit feuchten Augen mitsang, ging es richtig los. Tony packte den hochprozentigen Rum aus, aber nicht um uns abzufüllen, sondern um damit die alte Holztheke zu tränken. Er setzte den Rum in Brand und nach kurzem Bangen, dass die tieferhängenden Unterhosen über der Bar Feuer fangen könnten, ging uns auf, dass er diesen effektvollen Partytrick wohl nicht zum ersten Mal gemacht hatte.
Nachdem Christian und ich zu unserem holländischen Lieblingslied, einer Schmonzette namens „Het is een nacht“ Karaoke gesungen hatten, wiederholten Nicole und Tony noch mal ihre Foto-Pose von damals und nach dem dritten Rum Punch und gefühlt einem Pfund Butter im Bauch schaukelten wir zurück zu unseren Booten, wo wir ein weiteres Mal voneinander Abschied nahmen. Nicole und Gerrit machten sich am nächsten Morgen in aller Frühe auf Richtung Martinique, während Christian und ich entschieden hatten noch ein paar Tage länger auf St. Vincent zu bleiben.








Da hier sonntags absolut nichts los ist, beschlossen wir endlich mal wieder einen richtigen Gammeltag am Boot einzulegen. Wir blieben den ganzen Tag an Bord, Christian angelte ein bisschen, in der Hoffnung einen der Thunfische zu erwischen, die hier gelegentlich im hohen Bogen durch die Bucht springen und ich packte nach langer Zeit mal wieder mein Buch aus. Christian fing übrigens tatsächlich einen Fisch, allerdings keinen Thunfisch, sondern einen sogenannten grauen Drückerfisch, der uns auf den ersten Blick nicht allzu essbar erschien. Wir entließen den armen Kerl wieder ins Wasser, fanden anschließend aber heraus, dass man ihn sehr wohl hätte essen können. Naja, vielleicht beim nächsten Mal…
Mittlerweile waren wir in unserer Bucht ganz allein und genossen es, mal wieder einen Tag an Bord mit Nichtstun zu verbringen. Lediglich das winzige Leck im Hochdruckboden unseres Dinghies wollten wir noch reparieren und als wir endlich, nach langer Vorbereitung, soweit waren den Reparaturkleber aufzubringen, stellte sich heraus, dass dieser eingetrocknet war. Toll! Jetzt muss das Dinghy noch ein paar Tage mit schlaffem Boden aushalten, bis wir einen neuen Kleber bekommen, aber zum Glück funktioniert es für kurze Strecken auch so. Sportliche Gleitfahrt ist allerdings erst mal nicht mehr drin…
Auch wir wollen morgen St. Vincent den Rücken kehren und nach Dominica weiterfahren. Das ist eine Etappe von ca. 24 Stunden, also geht es für uns mal wieder durch die Nacht, vorbei an St. Lucia und Martinique. Dominica haben wir auf unserer letzten Reise direkt nach der verheerenden Zerstörung durch die Hurrikans Irma und Maria besucht und wir sind schon gespannt, wie es dort heute, 7 Jahre später aussieht.
Unseren letzten Tag auf St. Vincent wollten wir nutzen um noch mal nach Kingstown zu fahren und vor allem auf die Fahrt dort hin freuten wir uns schon ein bisschen. Auf dem Weg zur „Bushaltestelle“ – wenn man das so nennen kann, machten wir noch im Rock Side Café Halt, wo wir für heute ein Abendessen vorbestellten. Wir lernten die deutsche Wirtin namens Rosi kennen, die schon seit über 20 Jahren hier lebt und mit ihrem Mann zusammen neben dem Restaurant auch ein paar Bojen in der Bucht besitzt. Rosi ist hier für Segler so eine Art kleine Institution und wir wollten uns ein Abendessen bei ihr nicht entgehen lassen, nachdem wir nur Gutes darüber gehört hatten.
Als wir an der Straße ankamen wunderten wir uns schon ein wenig, dass ungewöhnlich viele Leute am Straßenrand auf Busse zu warten schienen. Eine Frau mit einem Haufen Taschen im Gepäck erzählte uns, sie stehe schon seit 5 Stunden hier und warte auf einen freien Platz im Bus. Humbug, war unser erster Gedanke dazu. So lange wartet doch niemand auf einen Bus! Aber tatsächlich kam heute nur ganz gelegentlich mal einer der Minivans vorbei, und dann waren sie meistens schon voll besetzt. Erst nach etwas über einer Stunde ergatterten wir endlich zwei Plätze in einem der Fahrzeuge. Statt fetzigem Soca lief allerdings diesmal nur Gospel-Reggae und auf den schmalen Sitzbänken war es ungewöhnlich eng. Wir waren trotzdem froh, endlich auf dem Weg nach Kingstown zu sein, denn wir hatten schon befürchtet, dass unser Stadtausflug aufgrund mangelnder Transportmittel ganz ausfallen müsste.
Wir hatten unsere Pässe im Gepäck und stiefelten in Kingstown erst mal zum Zoll und zur Einwanderungsbehörde um auszuklarieren. Das dauerte zwar ein bisschen, lief aber gewohnt freundlich und unkompliziert ab.
Nach einem leckeren und unfassbar günstigen Mittagssnack von einem Straßenverkäufer (für eine ordentliche Portion Reis mit Brotfrucht und 3 Hähnchenflügeln zahlten wir 8 Ostkaribische Dollar, also umgerechnet etwas weniger als 3 Euro!), kauften wir noch ein paar Lebensmittel ein und machten uns dann auf den Rückweg zum Busbahnhof. Hier traf uns fast der Schlag, denn der Bahnhof war voller Menschen, aber es waren kaum Busse zu sehen. Was war denn heute los?! Wieder warteten wir eine gute halbe Stunde in der prallen Sonne, bis endlich der erste Bus Richtung Norden auftauchte. Diesmal allerdings kein Minivan, sondern ein – fast – richtiger Bus. Wir quetschten uns rein und stellten dann schnell fest, dass es zwar ähnlich voll wie in den Minibussen war, dafür aber absolute Stille herrschte. Keine Musik. Wie langweilig! Heute wollte es einfach nichts werden mit den spaßigen Fahrten… Witzig war es trotzdem, vor allem, als der proppenvolle Bus an einer Tankstelle hielt, der Fahrer in aller Seelenruhe tankte und sich noch einen Schokoriegel kaufte um dann ganz gemütlich 10 Minuten später weiterzuzockeln. Bei uns wäre sowas völlig undenkbar!






Bei Rosi waren wir dann heute Abend die einzigen Gäste und saßen mit einem tollen Blick auf die Bucht in ihrem gemütlich angelegten Garten. Das Essen war großartig und vor allem reichhaltig und Rosi kam anschließend noch mal vorbei um ein bisschen mit uns zu plaudern. Eigentlich kommt sie aus München, lebt aber schon so lange hier auf der Insel, dass ihr gelegentlich das ein oder andere deutsche Wort nicht einfallen will. Ihr Café ist liebevoll angelegt und als wir gerade mit unserem Willkommensdrink am Tisch saßen raste ein flauschiges kleines Fellknäuel zu einer Kuschelattacke heran. Das aufgeregte Bündel stellte sich als unfassbar niedlicher Hundewelpe heraus, der wie ein Verrückter um unsere Beine sprang und Streicheleinheiten einforderte. So schnell wie er aufgetaucht war, war er auch schon wieder verschwunden. Später erfuhren wir, dass das kleine Hundemädchen gerade mal 2 Monate alt war und in Gesellschaft von 3 weiteren Hunden bei Rosi und ihrem Mann Orlando lebte. Zwei der anderen Hunde gesellten sich später auch noch dazu und alle drei sprangen irgendwann wild durcheinander, aufgestachelt durch den kleinen Welpen. Falls ihr euch mal nach St. Vincent verirren solltet, dann können wir empfehlen nicht nur bei Tony, sondern auch bei Rosi unbedingt mal vorbeizuschauen!
Hallo Christian und Steffi ,Schön das ihr schon so weit seid und ich bin wieder gesund 😀😀Liebe Grüße Til,Peter und Brigitte 🏖⚓️⛵️
Hey Tilly,
Vielen Dank für deinen Kommentar und schön, dass du wieder gesund bist. Ich hoffe mal, dass du Opa und Oma nicht angesteckt hast ☺️.
Wir freuen uns auch sehr darüber hier zu sein. Eigentlich wollen wir hier gar nicht mehr weg :).
LG!